Tauernkraftwerk-Projekte der 1930er-Jahre
Es gab de facto drei Tauernkraftwerk-Projekte der 1930er-Jahren.
Geschichte
Erstes Projekt
Das erste war jenes Tauernkraftwerk-Projekt der 1920er-Jahre, das von Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl betrieben worden war und mit der AEG Berlin im Zusammenhang mit dem Bau der Großglockner Hochalpenstraße hätte realisiert werden sollen.
Zweites Projekt
Das zweite Projekt war ein Salzburger Ausbauprojekt aus dem Jahr 1938, das fälschlicherweise "Göring-Plan bezeichnet wurde. Es handelte sich jedoch um eine verbesserte Planung des ersten Salzburger Projekts aus dem Jahr 1928. Dabei wurde an dem Grundsatz der zentralen Energiegewinnung in einer Werksgruppe festgehalten. Diese Werksgruppe sollte aus drei Kraftwerken bestehen, aber die Sammlung der Wassermengen sollte fast ohne Hangkanäle und Überleitung durch Zubringerkanäle in einen zentralen Wasserspeicher erfolgen. Franz Wallack hatte beim Bau der Großglockner Hochalpenstraße festgestellt, dass probeweise errichtete Hangkanäle sehr rasch von Steinschlag und Muren zerstört worden waren.
Die Neuplanung stand unter dem Zeichen der Selbstverständlichkeit, dass unter den neuen Umständen - Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich, die Österreich zum minderwertigeren Anschlussteil werden ließ und die steigende Arroganz, die vom Führer ausging - es selbstverständlich war, die "neue Zeit" mit der Aufstellung beginnen musste "Alles, was bisher war, ist minderwertig, falsch und daher unbrauchbar".
Die leitenden Stellen des 'Dritten Reichs' arbeiteten schnell. Was Salzburg in mühevoller Arbeit zwischen 1921 bis 1928 gebaut hatte, ging nun in zwei Monaten, zwischen 12. März und 12. Mai 1938. Am 18. Mai erfuhr das staunende Volk durch die Presse, dass Hermann Göring höchstselbst sich des Tauernprojekts angenommen hatte. Er habe einen Plan entwickelt, dessen Ausführung bereits begonnen hätte und demzufolge schon Ende 1941 der erste elektrische Strom erzeugt werde. Gleichzeitig wurde die Presse unter diskretem Hinweis auf eine Schulungszeit in Dachau darauf hingewiesen, in den Kommentierungen nicht zu erwähnen, dass die Idee zu diesem Ausbau bereits vor 17 Jahren vom Salzburger Landeshauptmann Rehrl gefasst und unter seiner Leitung durch umfangreiche Forschungen und Vorarbeiten schon bis zur Umsetzung entwickelt worden war. Unter diesen Voraussetzungen war man sehr gespannt, wie sich der aus dem Nichts geschaffene "Göring-Plan" entwickelte.
Infolge der seit 1938 herrschenden Nachrichtensperre erfuhren selbst Fachkreise wenig oder nur meist schon Bekanntes. Doch es lag wohl auf der Hand, dass AEG aufgrund der historischen Entwicklung des ersten Projekt über die besten Unterlagen verfügen würde. Deshalb konnte sie auch tatsächlich dieses Projekt aus dem Ärmel schütteln.
Gegenüber dem ersten Projekt, das eine Niederschlagsfläche von 2 000 Quadratkilometern einbezogen hatte, führte der "Göring-Plan" nur mehr 1 600 Quadratkilometer an. Der Grund lag im Verschwinden der seinerzeit geplanten Hangkanäle. Diese waren in der der Zeit zwischen 1931 und 1938 erprobt worden und es zeigte sich, dass sie sehr anfällig für Steinschlag und Vermurungen waren. Dazu kam, dass aufgrund deren Lage auf 2 300 m ü. A. und höher Wartungsarbeiten nur in einem kurzen Zeitraum des Jahres möglich wären. Daher wurden Hangkanäle im Projekt von 1938 durch natürliche Seen und künstliche Stauseen ersetzt.
Weiters wurde auf die Erfassung von Wasser in den östlichen Hohen Tauern wegen der notwendigen sehr langen Tunnels verzichtet. Beibehalten hatte das Projekt die zentrale Energiegewinnung in einer Kraftwerksgruppe in Kaprun. Kraftwerk eins sollte nicht mehr am Orglerboden (Wasserfallboden) entstehen, sondern unterhalb im Bereich Wüstlau. Das Werk II wäre an gleicher Stelle von Projekt eins am südlichen Rand des Salzachtals südwestlich von Zell am See gebaut worden. Das im ersten Plan bei St. Johann im Pongau vorgesehene Kraftwerk III sollte nun bei Golling entstehen.
Die Speicherräume hätten sich dadurch vom ersten Projekt mit 279 Millionen Kubikmeter auf 728 Millionen erhöht. Die Stromerzeugung würde nun 3 077 kWh betragen (2 322 Millionen kWh im Winter und 755 Millionen kWh im Sommer) gegenüber dem ersten Projekt, das im Winter nur 2 180 Millionen kWh und im Sommer 442 Millionen kWh erzeugt hätte.
Spatenstich und Konsequenzen

Am 16. Mai 1938 erfolgte von Göring der Spatenstich im Beisein von Erzbischof Ignaz Rieder an jener Stelle im Salzachtal, wo Kraftwerk II gebaut werden sollte. Interessant dabei ist die Tatsache, dass bereits in diesem Moment die mit dem Bau Beauftragten sich über den Kopf ihres höchsten Chefs hinweg im Klaren waren, den "Göring-Plan" überhaupt nicht zu beginnen. Wäre nämlich Görings Ausbauplan verwirklicht worden, so wären der österreichischen Wirtschaft die schweren Planungsfehler im Kapruner Tal mit allen ihren katastrophalen Folgen erspart geblieben. Der Spatenstich und die (geistige) Weigerung der Bauherren, den Plan umzusetzen, war der Beginn der tragischen Weiterentwicklung der Kraftwerksidee von Kaprun.
Diese "Weigerung" war in dem auf absoluten Gehorsam aufgebauten Führerstaat nur deshalb möglich, weil dieser den Nachteil hatte, dass der Weg von der Zentrale zur ausführenden Stelle oft sehr weit war. Und durch geschickte Behandlung der Zentrale ergaben sich Möglichkeiten zur Selbstentwicklung bis hin zur Selbstherrlichkeit der Unterführer. Je man sich jemand auf politischer Ebene profilierte, desto mehr Freiheiten ließ man ihm in seinem eigenen Arbeitsgebiet. Als ein zentralistisches Machtinstrument hatten sich Göring zur Beherrschung der Energiewirtschaft im südöstlichen Gebiet Großdeutschlands die 'Alpen-Elektrowerke AG (AEW) geschaffen. Im Zuge der Arisierung wurde die jüdische 'Industriekredit AG' von Göring in die AEW umgegründet. Ihre Aktien wurden von der 'Vereinigten Industrie AG' (Viag) übernommen, die die Holding-Gesellschaft des Reichswirtschaftsministeriums für reichseigenen Industriebesitz waren. Nur 28 Prozent der Aktien der AEW blieben in österreichischen Händen.
Energiewirtschaftliche Gedankengänge der AEW flossen nun in die Planung des Kapruner Tals ein. Daneben wurde auch der militärische Aspekt einer möglichen Bombardierung der Anlagen im Kapruner Tal. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die einzelnen Werksgruppen aufzulockern und eine entsprechende Sicherung der Bauwerke. Beides verletzte dabei empfindlich die Grundsätze kaufmännischer Wirtschaftlichkeit.
Aus diesen Überlegungen heraus hatte sich der verantwortliche Leiter der AEW bereits beim Spatenstich entschlossen, einen neuen Ausbauplan zu erstellen, den sogenannten AEW-Plan.
Drittes Projekt
Ein drittes Projekt wurde von der AEW nach einem AEG-Entwurf der Jahre 1939 bis 1941 als Gegenstück zum zweiten Salzburger Projekt geplant. Dabei wäre ein dezentralisierte Ausbau in sieben selbständigen Werksgruppen mit insgesamt 20 Kraftwerken geplant gewesen.
Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass die AEW, die in erster Linie ein politisches Instrument der Naziregierung und Nazipartei war, sich diesen neuen, dritten Plan dort bestellten, wo sie die größten Fachkenntnissen in diesem Teil Österreichs wussten, nämlich bei der AEG. Allerdings musste der neue Plan grundsätzlich wieder anders aussehen als jener des zweiten Projekts 1938.
Dieser neue AEG-Plan teilte den gesamten Tauernkraftwerksbau in den westlichen Hohen Tauern in sieben Kraftwerksgruppen mit 20 Krafwerken:
- Moserboden-Kaprun mit zwei Kraftwerken
- Bruck-Golling mit einem Kraftwerk
- Innergschlöss-Mittersill mit acht Kraftwerken
- Dorfertal-Matrei mit einem Kraftwerk
- Matreier Tauerntal-Matrei mit zwei Kraftwerken
- Virgen-Defereggental-Huben mit fünf Kraftwerken
- Iselfassung Trattner-Hauben mit einem Kraftwerk.
Das Einzugsgebiet verkleinerte sich abermals auf auf 1 160 qkm (1928: 2 000 qkm, 1938: 1 600 qkm), weil ein Speicher im Krimmler Achental außer Planung blieb. Der Nutzspeicherinhalt sank in diesem Projekt auf 577 Millionen Kubikmeter (1938 waren es noch 728 Millionen Kubikmeter), die Leistung hätte höchstens 3 120 Millionen kWh betraten, im Winter 1 654 und im Sommer 1 466, zum Vergleich 1938: 3 077, 2 322 und 755 kWh).
Nun wurde also auch die unterschiedlichen Denkweisen klar:
- Österreichisches energiewirtschaftliches Denken: restlose Ausnutzung der Speicherräume und höchstmögliche Erzeugung von Winterstrom, um Kohle zu sparen;
- Großdeutsches energiewirtschaftliches Denken: Stromerzeugung um jeden Preis bei möglichst großer militärischer Sicherheit;
Die Werksgruppe Moserboden-Kaprun war zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Gesamtplan herausgelöst und sollte als erste ausgebaut werden. Zur Befüllung der beiden Großspeicher Moserboden und Wasserfallboden war die sogenannte Möll-Überleitung zur Erfassung des Wassers des Leiterbachs südlich des Alpenhauptkamm geplant. Das Wasser des Leiterbaches sollte im Speicher Margaritze gefasst werden. Auf dem Weg dieses 11,5 Kilometer langen Stollens sollte auch noch das Schmelzwasser des Fuscher Eiskares im Käfertal durch Hangkanäle aufgefangen werden.
Vom Großspeicher Moserboden sollte das Triebwasser in einem 3,8 km langen Druckstollen oberhalb der Limbergsperre geführt werden, wo zum Kraftwerk der Oberstufe abfallen sollte. Vom Großspeicher Wasserfallboden sollte das Triebwasser in einem sieben Kilometer langen Druckstollen zu den Hängen des Maiskogels geführt werden, unterwegs das Wasser des Zeferet- und Grubbachs aufnehmen und schließlich in einem 600 m langen Schrägstollen und weiteren vier Druckstollen von je 1,2 km Länge 780 m tief zum Kraftwerk der Hauptstufe am unteren Ausgang der Sigmund-Thun-Klamm fallen.
Geplant waren als Fertigstellungstermine für den ersten Hauptabschnitt (Wasserfallboden) Ende 1941, für den zweiten Hauptabschnitt (Limbergsperre) Ende 1944 mit Vollstau Sommer 1945, für den dritten Hauptabschnitt (Kraftwerk Oberstufe in der Limbergsperre) Ende 1945 sowie für den vierten und letzten Hauptabschnitt (Sperrmauer Moserboden, Möll-Pumpwerk und Vollausbau der Maschinengruppe im Kraftwerk der Hauptgruppe) bis Ende 1947.
Die AEW stellte in die Bauleitung Kaprun vom Ortsgruppenleiter bis zum HJ-Führer fast sämtlich Funktionäre der Nazipartei, später dann die entsprechende Führung des Volkssturmes. Die Poltisierung des Kraftwerkbaus führte in Folge zu den Problemen, die bis Ende der 1940er-Jahre anhielten. Es kam zu anhaltenden Spannungen zwischen ortsfremden, oft sogar landfremden Bauarbeiter, seiner Bauleitung und den Einwohnern von Kaprun.
Organisation des Baus
Die Durchführung des Baus war bestimmt vom ständigen Wettlauf der sich gerade hier sehr stark zeigenden Erosionskraft der Natur und dem Bestreben des Menschen, diese Kraft zeitweise anzuhalten, von der Methode der Erschließung der Baustellen und der Leistungsfähigkeit der Transportwege. Der AEW-Plan rechnete mit einer Bauzeit von mindestens zehn Jahren.
Betrachtet man beispielsweise den Bau der Limbergsperre, so waren für diese rund 175 000 Tonnen Zement notwendig, umgelegt auf Waggons etwa 12 000. Umgelegt auf die geplante Bauzeit hätte das mindestens elf Waggons täglich bedeutet. Erstaunen erregte die Meldung des Bauleiters bei den Personen, die sich bis dahin mit der Verwirklichung des Projekts befasst hatten, dass eine Schleppbahn von Bruck nach Kaprun unnötig wäre. Die anfallende Transportleistung würde ausschließlich mit Lkw erfolgen. Aus dieser Forderung heraus entstanden weitreichende Folgen.
(wird noch fortgesetzt)
Quelle
- Salzburger Wochenschau für Österreich, Ausgabe 1947, Sonderheft Nr. 2
Hauptartikel: Tauernkraftwerke Kaprun
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