Fernstreckenrennen Paris - Wien

Beim Fernstreckenrennen Paris - Wien 1902 war die Stadt Salzburg ein Etappenziel.
Warum Fernstreckenrennen?
Sowohl das Automobil als auch die Motorräder steckten um 1900 noch in ihren Kinderschuhen. Die Straßen hatten noch keinen Asphaltbelag, Gummireifen gab es noch ohne Luft, die Materialien gebrechlich und die Fahrer verwegen. Reifenwechsel nach wenigen Kilometern stand auf der Tagesordnung einer (Wett)Fahrt.
Ein Automobil oder Motorrad verkaufte sich also hauptsächlich über sportliche Erfolge, über Zuverlässigkeitstests, möglichst vom Hersteller persönlich erzielt (was ja noch Jahrzehnte anhielt, beispielsweise beim legendären Motorradrennen auf der Insel Man, der Tourist Trophy).
Aus diesem Grund fanden vor allem in Frankreich um die Jahrhundertwende zahlreiche Langstreckenrennen veranstaltet, das damals die führende Nation im Automobilbau war. Diese Langstreckenrennen fanden mit katastrophalen Unfällen und mit betrügerischen Episoden (man transportierte sein Fahrzeug mit der Eisenbahn) statt.
Das Fernstreckenrennen Paris - Wien
Über die "Gefährlichkeit"
Im Dezember 1901 berichtete das Salzburger Volksblatt von einer Debatte im Abgeordnetenhaus in Wien:[1]
Abgeordneter Steiner und Genossen interpelliren den Ministerpräsidenten in Angelegenheit der geplanten Automobil-Wettfahrt Paris-Wien und erklären, daß nach den bei einer kürzlich abgehaltenen Automobil-Wettfahrt gemachten Erfahrungen durch solche sportliche Veranstaltungen ie körperliche Sicherheit gefährdet sei. Die Interpellanten stellen die Anfrage, ob der Ministerpräsident geneigt sei, die Benützung der Straßen zu Automobil-Wettfahrten zu verbieten.
In den folgenden Monaten gab es dann weitere Versuche, diese Veranstaltung zu verhindern. Doch schließlich wurden im Mai 1902 in Paris alle Fragen geklärt:[2]
Die Vertreter des Oesterreichischen Automobil-Clubs, General-Consul Singer und Dr. Ritter v. Stern, sind heute Morgens in Paris eingetroffen um mit dem Pariser Automobil Club und der Sportcommission des Clubs Verhandlungen über die Wettfahrt Paris-Wien zu pflegen, welche aus erschiedenen Gründen in Zweifel gestellt war. Wie in sportlichen Kreisen verlautet, haben sich aus den Verhandlungen der Wiener Vertreter Singer und Stern mit dem Präsidenten des Pariser Clubs, Baron Vanzuylen, Vereinbarungen und Festsetzungen ergeben, welche die Automobilfahrten von Paris nach Wien als gesichert erscheinen lassen.
Es werden, wie bei der Wettfahrt Paris-Berlin, zwei Fahnen von Paris nach Wien stattfinden, eine Wettfahrt und eine Touristenfahrt. Die Concurrenten und Theilnehmer an diesen Fahnen werden am 1. Juni von den getroffenen Vereinbarungen offiziell verständigt werden, bis alle Details festgestellt und die nothwendigen Vorbereitungen beendet sein werden. In großen Züen ist das Programm für die beiden Fahnen von Paris nach Wien Folgendes:
Wettfahrt: Abfahrt von Paris am 26. Juni; es sind vier Tage für diese Strecke in Aussicht genommen. Erster Tag: Paris-Belfort, beiläufig 420 Kilometer; zweiter Tag : Belfort - Bregenz, beiläufig 380 Kilometer; dritter Tag:· Bregenz - Salzburg, beiläufig 350 Kilometer; vierter Tag : Salzburg - Wien, 320 Kilometer. Die Strecke Belfort-Bregenz, welche durch die Schweiz führt, muß neutalisirt werden, da die Schweiz schnellem Fuhren Schwierigkeiten bereitet, und die Praxis, die dort geübt wird, in verschiedenen Cantonen nicht dieselbe ist.
Die Touristenfahrt Paris-Wien beginnt am 16. oder 17. Juni. Folgende Route wurde bestimmt: Paris über Belfort nach Landeck, von da auf der Stilfserjochstraße mich Meran, weiters nach Bozen, von Bozen nach Franzensfeste, von Franzensfeste nach Toblach, von Toblach nach Villach, von Villach nach Marburg, von Marburg nach Grazz, von Graz über den Semmering nach Wien. Für die Touristenfahrt sind neun bis zehn Tage in Aussicht genommen.
Es sind bereits zahlreiche Nennungen für beide Fahrten beim Pariser Automobib Club eingelangt: für die Wettfahrt liegen 141, für die Touristenfahrt mehr als 60 Anmeldungen vor. Die Herren Singer und v. Stern sind heute Abends wieder nach Wien zurückgereist.
Und noch immer flammte Protest gegen diese Wettfahrt auf. So schrieb die Zeitung "Radfahr-Sport" in ihrer Ausgabe vom 14. Juni 1902 sehr negativ "von den Herren von Geblüt und alten Adelswappen in Paris.[3]
Prominente Teilnehmer des Rennens 1902
Erich Graf Kielmannsegg, Friedrich Karl Prinz zu Hohelohe, Kraft Fürste zu Hohenlohe, Fürst Trautmannsdorff, Baron de Zuylen, Alex Prinz zu Solms-Braunfels, Karl Graf Schönborn, Emil Jellinik (ein österreichisch-ungarischer Geschäftsmann und Diploma, dessen Tochter Mercedes Namensgeberin für die Automobilmarke Mercedes war), Baron Skoka, A. Graf Kospoth, Graf Kolowrat, P. Michelin, Ernest Andreacon, Louis Serpollet, Graf Soborowski, H. Deutsch de la Meurthe, René de Knyff, Margraf von Palavicini, Arnold Spitz, Henri Farman, Bob Mauthner, Alexandre Darracq, Marcel Renault, Paul Riviére, Otto Hieronymnus, Dr. R. Stern;[4]
Die ersten Opfer
Die Arbeiter Zeitung schrieb am 27. Juni von "Automobilraserei Paris-Wien" [...]"Die Hetzjagd der Automobilen von Paris nach Wien hat gestern um 3 Uhr 30 begonnen." [...] " Daß bei dieser tollen Raserei kein Unglück geschehen sollte, wäre ein Gotteswunder. Wirklich sind bereits einige vorläufig allerdings noch nicht verbürgte Hiobsposten eingelangt." [...] "Es verlautet auch, daß Girardot zwei Personen überfahren habe, davon eine, eine Frau, schwer verletzt worden sei." [..] "Die ersten Opfer der Wettfahrt. Langres, 26. Juni. Ein den an der Wettfahrt Paris-Wien betheiligten Automobilen vorausfahrendes Automobil fuhr in der Nähe von Chandenay bei dem Versuche dem Wageneines Landwirthes auszuweichen, gegen einen Baum. Bei dem Stutze wurde der Mechaniker getödtet und der Chauffeur verletzt. Das Automobil Nr. 146 ist bei Broncour (?) umgestürzt. Der Gehilfe des Mechanikers wurde schwer verletzt, der Mechaniker selbst erlitt Quetschungen. Das Automobil ist zertrümmert.[5]
Die Etappe in Salzburg
Von Bregenz ging es über den Arlberg mit Mittagsrast in Innsbruck über Lofer in die Stadt Salzburg zur letzten Rast vor der letzten Etappe. Manchen Wagen mussten den Steigungsstrecken der schmalen Schotterwege bei Unken (Oberrainer und Mellecker Bichl) Pferde vorgespannt werden. In der Stadt Salzburg angekommen, standen die Fahrzeuge im Parc Fermé (motorsportliche Bezeichnung für eine Art von Fahrerlager, in die Fahrzeuge nach technischen Kontrollen eingesperrt werden, damit man keine technische Manipulationen mehr am Motor oder Fahrwerk vornehmen kann) im Hof der Franz-Josef-Kaserne an der Paris-Lodron-Straße.
Das Salzburger Volksblatt berichtete über die Ankunft:[6]
Für heute mittags zwischen 12 und 1 Uhr war die Ankunft des ersten Fernfahrers in Salzburg in Aussicht gestellt worden. Infolgedessen begann schon bald nach 11 Uhr eine förmliche Völkerwanderung zum Ziel bei Trautmann's Gasthaus in Maxglan und darüber hinaus. Zu Fuß, zu Wagen und zu Rad strebte Alles dem einen Punkte zu. Bald war die Straße vom Ziel bis hinaus fast nach Walserberg von Neugierigen besetzt. Man lagerte unter Bäumen, auf den Wiesen, so gut, es ging, Schutz suchend gegen die niederbrennende Sonne. Die Tribünen links der Straße füllten sich allmählich; und die kleine Halle rechts der Straße, welche von Lokalausschuß und dem Chronomettear[7]
offiziell Mr. Tampier besetzt war, drängte sich ein Stab von Ordnern, die den Sicherheitsdienst auf der Strecke bis zur Landesgrenze zu besorgen hatten. Radfahrer, durch rote Armbinden kenntlich gemacht, flogen die Straße dahin und brachten bis zu den entferntesten Posten die Weisungen. Bis ½12 Uhr waren von der Strecke Bregenz-Innsbruck-Rattenberg eine ganze Reihe von telegraphischen Meldungen eingetroffen. Man erfuhr aus ihnen, daß Mr. de Knyff, der bis Belfort und Bregenz die Führung innehatte, dieselbe zwischen Innsbruck und Rattenberg an Henri Farman hatte abgeben müssen.
Um ½1 langte aus Lsofer die Nachricht ein, daß Baron de Forest an die Tête[8] der Fernfahrer getreten, der einen Mercedes-Wagen aus der Fabrik Daimler, also deutsches Fabrikat, fuhr. Panhard's Fabrikat war also aus dem Felde geschlagen und mußte sich mit dem zweiten Platze begnügen. Nach der Depesche aus Lofer berechnete man, daß die Ankunft des ersten Konkurrenten um ca. ½2 Uhr erfolgen dürfte· Die Straße war für den Wagenverkehr um 1 Uhr abgesperrt worden. Unser Berichterstatter hatte ungefähr 25 Minuten außerhalb des Zieles in einem Hause an der Straße gastliche Aufnahme gefunden und übersah von dort aus die Startlinie fast bis nach Walserberg. So weit der Blick traf, eine fast ununterbrochene Kette von Zuschauern, die hier dichter, dort etwas weniger geschlossen war, alle aber unverwandt der Richtung nach Walserberg zugewandt.
Da, eine Minute nach ½2 Uhr kommt Leben und Bewegung in die Kette; von den dunkelgrünen Waldzügen beginnt sich eine mächtige Staubwolke abzuheben, die immer größer und größer wird. Der Ruf: »der Erste kommt« geht durch die Reihen und setzt sich in telegraphischer Eile bis zum Ziel fort. Zwei Minuten später rast auch schon in fliegender Eile der Daimlerwagen Nr. 27 vorüber, der um 1 Uhr 34 Min. 20 Sek. am Ziel anlangt, dortselbst mit Jubelrufen und Tücherschwenken begrüßt. Es war Baron de Forest, der in bester Kondition das heutige Ziel erreicht und seine Konkurrenten um nahezu ¾ Stunden geschlagen hat. Im folgte als zweiter Henri Farman (Panhard-Maschine) Nr. 7 um 2:17:50: dann kam als Dritter Marcel Renault Nr. 147 mit einem leichten Wagen der eigenen Fabrik 2:18,50, als Vierter Graf Zborowski mit einem Mercedes-Wagen 2:25:25. Ihnen schlossen sich der Reihe nach an Edmond (Darracq) Nr. 38 um 2:35:15
[...] Zu Ehren der Teilnehmer an der Fernfahrt findet heute abends wie schon gemeldet, im Kurparke ein Militär-Konzert statt, das, von herrlichsten Wetter begünstigt-, sich eines zahlreichen Besuches erfreuen dürfte.
Die letzte Etappe Salzburg - Wien wurde am Sonntag, den 29. Juni, auf der Wiener Straße in der Gemeinde Gnigl gestartet. Die ersten vier Fahrer wurden in Abständen von 15 Minuten auf die Strecke geschickt. Die weiteren Fahrer starteten in Zehn-Minuten-Abständen. Von diesem Start berichtete das Salzburger Volksblatt in ihrer Ausgabe vom 30. Juni ausführlich. In Straßwalchen versammelte sich eine größere Zahl an Schaulustigen aus dem Innviertel und dem Mondseeland, die die Teilnehmer der Wettfahrt anstaunen wollten.[9]
Sieger wurde der Franzose Marcel Renault, dessen Wagen mit "nur" 34 PS leistungsmäßig fast allen anderen Konkurrenten deutlich unterlegen war. Aber sein leichteres Gewicht und vor allem seine Zuverlässigkeit brachten ihm den Sieg. Seine Durchschnittsgeschwindigkeit inkl. den Stopps für Reifenwechsel, Tanken und Reparaturen betrug aber immerhin noch 62,5 km/h.
Die Renaissance des Rennens
63 Jahre später, 1965, wurde dieses Rennen vom 8. bis 16. Mai wiederholt und die Salzburger konnten auf dem Residenzplatz die Fahrzeuge von einst bestaunen.
Erinnerungsfahrt 1965. Hier stehen alle historischen Fahrzeuge auf dem Residenzplatz.
In einer Notiz in den Salzburger Nachrichten 1965 findet sich der Hinweis, dass die Teilnehmer dieser Rallye am 13. Mai 1965 am Residenzplatz eintreffen werden.[10][11] Ein Artikel über diese Veranstaltung 1965 - "Die Veteranen-Rallye 1965" - findet sich in der Zeitschrift "Austro-Motor", Ausgabe 5/1965, Seite 320.
Quellen
- Salzburger Automobli- und Motorradgeschichte, Verlag Anton Pustet, 1997, ISBN 3-7025-0363-3, die Autoren waren Helmut Krackowizer, Erich Marx, Guido Müller, Knut Rakus, Volker Rothschädl und Harald Waitzbauer
- Salzburger Woche, Ausgabe Pinzgauer Nachrichten, 18. Oktober 2012
Einzelnachweise
- ↑ ANNO, Salzburger Volksblatt, Ausgabe vom 10. Dezember 1901, Seite 3
- ↑ ANNO, Neue Freie Presse, Ausgabe vom 28. Mai 1902, Seite 7
- ↑ ANNO, Radfahr-Sport, Ausgabe vom 14. Juni 1902, Seite 1
- ↑ Quelle 1900 Festschrift des Allgemeinen Schnauferl Clubs e. V. zur Feier seines 80jährigen Bestehens 1980, Archiv Krackowizer
- ↑ ANNO, Arbeiter Zeitung, 27. Juni 1902, Seite 6
- ↑ ANNO, Salzburger Volksblatt, Ausgabe vom 28. Juni 1902, Seite 2
- ↑ Zeitnehmer, Zeitmessgerät
- ↑ Spitze, Führung
- ↑ ANNO, Salzburger Volksblatt, Ausgabe vom 30. Juni 1902, Seite 5
- ↑ www.sn.at, Archiv der Salzburger Nachrichten, Ausgabe vom 13. Mai 1965, Seite 5
- ↑ www.sn.at, Archiv der Salzburger Nachrichten, Ausgabe vom 20. Mai 1965, ganzseitiger Bericht