Balthasar Linsinger
Konsistorialrat Balthasar Linsinger (* 15. Juli 1902 in St. Veit im Pongau; † 20. Oktober 1986 in Tamsweg)[1] war Pfarrer und bewahrte im Zweiten Weltkrieg eine jüdische Familie vor dem Holocaust. Posthum wurde er am 13. April 2011 zum Gerechten unter den Völkern ernannt.
Leben
Balthasar Linsinger war der Sohn des Lackenbauern Josef Linsinger aus St. Veit und seiner Frau Maria, geborene Mitteregger. Am 12. Juli 1925 wurde er zum Priester geweiht.
Er war Kooperator in der Pfarre St. Koloman (1925–1930), der Pfarre Brixen im Thale (1930–1936) und Kaplan in der Wallfahrtskirche zu Unserer Lieben Frau Geburt in Kirchental (1936-1937). 1937 kam er als Pfarrer nach Weißbach bei Lofer. Von 1943 bis 1954 wirkte er als Pfarrer in Großarl, danach bis zu seiner Pensionierung 1977 in St. Michael im Lungau, wo er auch seinen Ruhestand verlebte.
Auszeichnung
In Anerkennung seiner Verdienste verlieh ihm die Marktgemeinde St. Michael im Lungau am 28. Oktober 1971 ihre Ehrenbürgerschaft.[2]
Vorgestellt ist eine Beitragsreihe in den Salzburger Nachrichten. Das Salzburgwiki hat hier den Originaltext übernommen. Dieser kann wiederholende Teile zu obigem Lebenslauf enthalten, sollte aber im Sinne eines Zeitdokuments nicht korrigiert werden.
Einem besonderen Menschen wird besondere Ehrung zuteil. Im Rahmen einer Feierstunde erhielt Pfarrer Balthasar Linsinger am 13. April 2011 posthum den Titel "Gerechter unter den Völkern" zugesprochen. Eingeladen dazu haben die Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer, und der Botschafter des Staates Israel, Aviv Shir-On.
"Gerechter unter den Völkern" ist ein in Israel nach der Staatsgründung 1948 eingeführter Ehrentitel für nicht jüdische Einzelpersonen, die unter nationalsozialistischer Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten.
Linsinger hat das getan. Sein Neffe Richard Donauer schilderte den Salzburger Nachrichten 2011: "Im Sommer 1944 hat der Onkel Hauser als Pfarrer von Großarl den jüdischen Maler Eduard Bäumer, dessen Frau und die drei Kinder im Alter von damals drei, neun und zwölf Jahren bei sich im Pfarrhof aufgenommen. Er hat sie nicht versteckt, sondern er gab sie als Wiener Familie aus, die bei einem Bombenangriff alles verloren hatte. Er hat das getan, obwohl er selbst seit 1940 wegen abfälliger Äußerungen über den Nationalsozialismus in seinen Predigten und bei Hausbesuchen im Visier der Gestapo war. Pfarrer Linsinger, also der Onkel Hauser, war ein Sohn vom Lacken-Gut in St. Veit. Er starb 1986 im Alter von 84 Jahren."
Die Zahl der Österreicher unter den "Gerechten" erhöht sich damit auf 88.
Der Name jedes Geehrten wird im Garten der Gerechten in Yad Vashem in Jerusalem angeschlagen. Und für jeden wird in der "Allee der Gerechten" auf dem "Berg des Gedächtnisses" (Hazikaron) ein Baum gepflanzt. Bei Linsinger wird das anders sein. Er erhält zwar eine Gedenktafel, weil in der "Allee der Gerechten" aber bereits 23.226 Bäume stehen und kein Platz für Neupflanzungen ist, errichten die Gemeinden Großarl und St. Veit Gedenkstätten und setzen jeweils einen Baum.
Pfarrer Linsinger erhält die posthume Ehrung auf Betreiben von Angelica Bäumer. Sie ist eines der durch die Courage des Pfarrers geretteten Kinder. Angelica Bäumer ist Journalistin und lebt in Wien.
Für die Feierstunde im Parlament hat sie folgenden Text vorbereitet (hier Auszüge):
"Es war im Sommer 1942, als Pfarrer Balthasar Linsinger aus Weißbach bei Lofer nach Salzburg kam und im Künstlerhaus vorsprach, ob nicht ein Maler des Kunstvereins so lieb sein könne, in seiner Wallfahrtskirche die Decke neu auszumalen. Für ein 'Vergelts Gott', Geld sei keines da. Niemand wollte umsonst diese Aufgabe übernehmen, mein Vater aber, der Maler Eduard Bäumer, wollte dieses Deckenfresko malen. Es sollte ein Heiliger Geist sein. Ganz in der Tradition der barocken Wallfahrtskirche. Der Pfarrer bot Quartier für den Maler und uns Kinder, Angelica und Michael. Wir blieben den Sommer über und mein Vater malte den Heiligen Geist. Abends saßen wir am großen Bauerntisch, aßen alle aus einer Schüssel und Pfarrer Linsinger spürte die Sorgen meines Vaters. Und als er erfahren hatte, was mein Vater zu Recht, wie sich später herausstellte, befürchtete, dass die sich anbahnenden Judenverfolgungen verstärkt würden, und dass sie auch die eigene Familie treffen könnten, sagte Pfarrer Linsinger: 'Dann kommen sie einfach alle zu mir.'"
Bereits im Juli 1940 wurden in Salzburg mehrere Pfarrer, darunter Balthasar Linsinger, von der Gestapo festgenommen. Sie waren, laut Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, wegen "Verrichtung kirchlicher Funktionen über den gewöhnlichen Werktagsgottesdienst hinaus" in Haft.
Angelica Bäumer: "Es muss Ende 1943 oder Anfang 1944 gewesen sein, da wurde es wirklich ernst. Wir bekamen auf unsere Ausweise ein dickes 'J' gestempelt, erhielten weniger Lebensmittelmarken als die anderen Bürger, durften nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, nicht in die Luftschutzbunker, die in den Mönchsberg gesprengt worden waren. Und ich durfte nicht mehr ins Gymnasium gehen."
Pfarrer Linsinger wurde am 1. August 1943 nach Großarl versetzt, "aber er stand zu seinem Wort und als die ersten Bomben auf Salzburg fielen, brachte meine Mutter schweren Herzens das jüngste Kind, die dreijährige Bettina, in die Großarler Pfarre, wo die Pfarrköchin, die Kaisermama, rührend für das kleine Mädchen sorgte. Und als eines Nachts, im Sommer 1944, ein Freund der Familie, der Arzt Dr. Rudolf Peyrer Heimstätt, zu uns kam, uns weckte und drängte, sofort zu fliehen, da nahmen wir so gut wie nichts mit. Unsere Ausweise mit dem verräterischen 'J' verbrannten wir. Der Hauptbahnhof war bereits bombardiert, Dr. Peyrer wusste aber, dass ein Flüchtlingszug in Aigen stand, den galt es zu erreichen." Tage später fand eine große Razzia statt. Die Nazis machten Jagd auf Juden.
Zeitzeugen
Angelica Bäumer im Interview mit den Salzburger Nachrichten am 13. April 2011:
SN: Wie war das, als jüdisches Kind in Salzburg zu leben?
Bäumer: 1944 holte uns in Salzburg ein, was in Deutschland gesät worden war. Ich ging noch ins Gymnasium. Eines Tages wurde ich nicht in die Jungmädchen-Gruppe gelassen, die Scharführerin sagte mir nur, ich müsse mich am Bann melden. Ich ging also auf die Edmundsburg, auf halbem Weg zu unserem Haus auf dem Mönchsberg, und erfuhr dort von einer sehr besorgten BDM-Führerin, dass ich leider aus der Hitlerjugend ausgeschlossen worden sei, weil ich ein Bastard sei. Ich kannte das Wort nicht und sie war so freundlich mir zu sagen, dass ein Bastard ein Mensch sei, dessen einer Elternteil ein widerwärtiger Jude, dessen anderer aber ein Volksschädling sei, weil er einen Juden zum Partner habe.
SN: Nach Großarl kamen Sie?
Bäumer: In einer unfreundlichen kalten Nacht, um drei Uhr früh, mit wenig Gepäck und doch furchtbar beladen, fuhren wir vom Bahnhof Aigen weg. Erst nach Umwegen kamen wir auf die Straße nach Großarl und nie waren die 16 Kilometer so lang und anstrengend. Mein Bruder war stumm vor Überanstrengung und Müdigkeit, er war ja erst neun Jahre alt, er verstand nur die Angst, aber sonst nichts.
SN: Und in Großarl?
Bäumer. Am nächsten Morgen beriet Pfarrer Linsinger mit meiner Mutter und mir, wie wir uns verhalten sollten, denn Großarl war voll von Nazis, die alle, uns und den Pfarrer, sofort denunziert hätten. Pfarrer Linsinger predigte jeden Sonntag unerschrocken von den Teufeln und Besessenen dieser Welt und jeder konnte verstehen, wen und was er da meinte.
SN: Wie war der Alltag?
Bäumer: Es galt, nicht aufzufallen. Wir hatten beschlossen, Ausgebombte aus Wien zu sein, das erklärte auch, warum wir keine Papiere hatten. Aber in die Schule mussten ich und mein Bruder gehen. Wir gingen sogar sehr gern dort in die einklassige Schule, in der nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurde, sondern ein sehr musikalischer Lehrer viel mit den Kindern musizierte.
SN: Und ihre Erinnerungen?
Bäumer: Ich war ein Kind damals und heute bin ich Großmutter. Aber nichts, was ich damals erlebte, ist vergessen, zu tief prägen sich derartige Erfahrungen in Geist und Seele eines Menschen ein. Ich bin nicht religiös erzogen worden, obwohl mich meine Eltern 1938 taufen ließen, in der Hoffnung, das würde die Nazis besänftigen, wir sind ja nicht mehr 'jüdisch'. Wir wissen heute, und auch meine Eltern erfuhren es bald, dass das nichts nützte. Jude blieb Jude. Mein großes Erlebnis erfuhr ich durch die wahrhaft menschliche Tat des katholischen Pfarrers Linsinger. Er, ein einfacher, tief gläubiger Christ, hat mich die Achtung vor dem Christentum gelehrt, auch wenn mir die Gnade des Glaubens nicht gegeben ist. Meine Schwester besuchte den alt gewordenen Balthasar Linsinger in seinem Alterssitz im Lungau. Als er sich bedankte für ihren Besuch, sagte meine Schwester: 'Aber Sie haben uns ja auch das Leben gerettet.' 'So', sagte er, 'habe ich das?'
Quellen
- Salzburger Nachrichten, 13. April 2011
- RES (Regesta Ecclesiastica Salisburgensia): Linsinger, Balthasar (1902-1986)
- St. Veit
- Pfarre Großarl
- Erzdiözese Salzburg, Liturgischer_Kalender 2009/10
Einzelnachweise
Vorgänger |
Pfarrer von St. Michael im Lungau 1954–1977 |
Nachfolger |
Vorgänger |
Pfarrer von Weißbach bei Lofer 1937–1943 |
Nachfolger |
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