Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun
Die Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun am 11. November 2000, bei der insgesamt 155 Menschen ums Leben kamen, ist bis dato die größte Katastrophe der 2. Republik.
Ablauf
Die Gletscherbahn 2 ist eine Standseilbahn die auf 3.900 Metern Länge - davon 3.298 Meter im Tunnel - von Kaprun zum Alpinzentrum auf dem Gletscher führt.
Um 9.02 Uhr verlässt die Zuggarnitur "Kitzsteingams" mit 162 Menschen die Talstation. Zwei Minuten später kommt sie wieder zum Stillstand. Sie hat zu diesem Zeitpunkt die 600 Meter Wegstrecke über die Brücke sowie weitere 600 Meter im Berginneren zurückgelegt. Der Zugführer meldet über Datenleitung an die Bergstation, dass in der Garnitur Feuer ausgebrochen sei. Die Betriebsleitung weist ihn an, die Türen zu öffnen und die Passagiere zum Aussteigen aufzufordern. Dann reißt der Sprechkontakt, der Strom fällt aus.
Das Feuer ist im führerlosen Ende des Zuges ausgebrochen, nach Augenzeugenberichten bereits vor der Einfahrt in den Tunnel. Als der Zug zum Stehen kommt dauert es noch geraume Zeit, bis sich die Türen öffnen lassen. In den unteren Abteilen werden Fenster eingeschlagen, damit sich Menschen ins Freie retten können. In Panik fliehen viele bergwärts in den Tunnel - und damit in den sicheren Tod, da die Flammen wie durch einen Kamin mit hohem Tempo Richtung Alpinzentrum rasen. Nur 12 Menschen fliehen zum unteren Tunnelausgang und überleben die Katastrophe. 150 Personen aus der "Kitzsteingams", drei Personen im Alpinzentrum und zwei Personen in der talwärts fahrenden Garnitur "Gletscherdrache" verbrennen oder ersticken in der Rauchgaswolke.
Um 9.10 Uhr geht der Alarm beim Roten Kreuz ein, die ersten Rettungskräfte können aber nicht an die Unglücksstelle vorrücken. Um 9.29 Uhr wird Großalarm gegeben. Elf Helikopter fliegen ein. Nur mit schwerem Atemschutz kommen Feuerwehrleute im verqualmten Tunnel voran. Die Männer dringen von unten und oben sowie von einem Seitenstollen in den Tunnel ein. Doch erst nach Stunden kommen sie zum ausgebrannten Zug.
Am 15. November um 15.00 Uhr wird das letzte Opfer aus dem Tunnel geborgen. Insgesamt 92 Österreicher, 37 Deutsche, acht Amerikaner, zehn Japaner, vier Slowenen, zwei Holländer, ein Engländer und ein Tscheche sterben. Von den 155 Toten sind 31 unter 18 Jahren.
Das Alpincenter auf dem Kitzsteinhorn nimmt am 7. Dezember 2000 wieder seinen Betrieb auf, die Auffahrt erfolgt mit der Seilbahn.
Am 28. Februar 2001 wurde der Unglückszug ins Tal gelassen, der intakte aber stark verrusste "Gletscherdrache" wurde dadurch zum Alpincenter manövriert. Eine Woche später wurde auch die zweite Garnitur am 8. März 2001 ins Tal gebracht und für den Transport nach Linz, wo Sachverständige das Wrack untersuchten, in zwei Teile zerlegt.
Am 11. Mai 2001 werden im Gedenken an die 155 Opfer der Brandkatastrophe entlang der zur Gletscherbahn Kaprun führenden Straße 155 Kreuze aufgestellt. Nur drei Tage später werden die Kreuze von einem Mann, der zu einer Kapruner Familie gehört, die bei dem Unglück ein Kind verloren hat, mit einem Auto niedergefahren. Er gibt an, die ständige Konfrontation mit dem Unglück nicht mehr ausgehalten zu haben.
Kaprun-Prozess
Am 18. Juni 2002 beginnt unter der Leitung von Richter Manfred Seiss der Kaprun-Prozess in Salzburg. Am 19. Februar 2004 werden alle 16 Angeklagten, denen Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Gletscherbahn vorgeworfen wurden, freigesprochen. Der Oberlandesgerichtshof Linz bestätigt dieses Urteil am 27. September 2005.
Ein im deutschen Heilbronn angestrengter Prozess gegen den Hersteller des Heizlüfters, Fakir, endete im September 2007 ebenfalls mit einem Freispruch.
Von den Zivilverfahren die gegen die Gletscherbahnen AG und die Republik Österreich eingeleitet wurde 2007 eines außergerichtlich mit einem Vergleich abgeschlossen: Ein Arzt, dessen Sohn verunglückt war, erhält von den Gletscherbahnen aus dem Titel der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung laut Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz 220.000 Euro.
Ursprünglich forderten rund 240 Kläger Schadenersatz, Schmerzensgeld und Verdienstentgang in Gesamthöhe von 9,5 Mill Euro. Diese Verfahren ruhen bis zum Abschluss der "Versöhnungskommission" unter Leitung des Nationalbank-Gouverneurs Klaus Liebscher. Dort wird nach einer finanziellen Pauschalentschädigung für die Hinterbliebenen und Opfer der Kaprun-Tragödie gesucht. 92 Zivilklagen gegen die Gletscherbahnen ruhen derzeit.
In New York führt der amerikanische Anwalt Ed Fagan einen seperaten Prozess für Opfer und deren Angehörige. Derzeit ist der Anwalt selbst aber vom Prozess ausgeschlossen. Er war 2007 in Privatkonkurs gegangen, die Richterin sieht einen Interessenskonflikt. Urteil ist in diesem Prozess noch keines gesprochen.
Die Gedenkstätte
Am 11. November 2004 nehmen rund 300 Angehörige an der Einweihung einer Gedenkstätte für die Opfer der Seilbahnkatastrophe gegenüber der Talstation teil.
Kernstück des großen, zeitlosen Baus aus schlichtem Beton sind 155 verschiedenfarbige vertikale Glaslamellen. Jede trägt Namen und Geburtsdatum eines Opfers. Die Farbe der Lamellen ergab sich nach dem Prinzip des Feng Shui (chinesische Harmonielehre). Feng Shui steht mit den Energien der fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser in Beziehung. Kapruns Bürgermeister Norbert Karlsböck: "Nach dem chinesischen Horoskop wird jedem Geburtsjahr ein Element zugewiesen. Aus dem Geburtsdatum der einzelnen Opfer ergab sich die Zuweisung der jeweiligen Farbe."
Die Planung stammt vom Architekten Anton Michael aus Rimsting im Chiemgau. Seine Idee wurde in einem langen Entscheidungsprozess von einer Arbeitsgruppe aus 25 Vorschlägen herausgefiltert. Zehn Entwürfe blieben übrig, daraus wurden fünf Projekte entwickelt.
400 Hinterbliebene aus acht Nationen nahmen schließlich an einer aufwändigen Abstimmung per Internet teil. Karlsböck: "85,6 Prozent stimmten für das Projekt von Anton Michael."
Die Schmalseite im Westen birgt eine kleine Fensteröffnung, welche einen Sichtbezug aus dem Gebäude zur Rampe und Tunneleinfahrt der Unglücksstelle herstellt.
Der einfache, schmale Kubus steht auf einem durch niedrige Sitzmauern eingefassten Vorplatz.
Anton Michael über sein Projekt der Gedenkstätte in Kaprun: "Das Gebäude ist so konzipiert, dass es sich ohne wesentliche Veränderung der Topographie in das Hanggrundstück einfügt und eine barrierefreie Erschließung gesichert ist. Der Entwurf ist zeitlos streng, mit den Mitteln des Minimalismus angedacht, um einen Ort der inneren Einkehr zu schaffen. Der Raum schöpft seine Kraft aus der Reduktion. Auf eine Dachform wird bewusst verzichtet, um das Gebäude von der bekannten Formensprache der Skihütten, Schneebars und Bahnstationen abzugrenzen."
Zahlen der Rettungsmaßnahmen
Das Drama von Kaprun in Zahlen: 1.800 Menschen versuchten zu helfen und in Tausenden Stunden die Folgen des Unglücks aufzuarbeiten.
- 771 Feuerwehrleute von 58 verschiedenen Ortsfeuerwehren wurden nach Kaprun abkommandiert. Die Anfahrten erfolgten in 129 Fahrzeugen. Die genau auflistenden Florianis leisteten 5441,5 Arbeitsstunden.
- Das Rote Kreuz bot 346 Helfer auf, 25 von ihnen waren Notärzte.
- Die Exekutive stellte 270 Personen ab (allein die Gendarmerie war mit 235 Beamten im Einsatz).
- Das Bundesheer rückte mit 150 Soldaten an.
- In der Einsatzbilanz werden auch 5 Gerichtsmediziner, 12 Bergrettungsleute, 45 Psychologen, 50 Bedienstete von Gemeinde und Gletscherbahnen Kaprun, 36 Mitarbeiter einer Telefon-Hotline in München, 30 Mitarbeiter von Landespressebüro und Bezirkshauptmannschaft und mindestens 80 weitere Freiwillige aus dem Raum Kaprun mitgezählt.
Quelle
- Salzburger Nachrichten