Gasteiner Heilstollen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 20. März 2016, 10:11 Uhr
Der Gasteiner Heilstollen, ursprünglich als Heilstollen Böckstein bezeichnet, ist ein 2 600 m langer ehemaliger Bergwerksstollen zur Aufschließung erhoffter Erze mit Edelmetallgehalt im untersten Naßfeldtal, der seit 1952 als Therapiestation genutzt wird. Er befindet sich in Böckstein, Gemeinde Bad Gastein.
Geschichte
Nach der Blütezeit des Edelmetallbergbaus in Gastein im 16. Jahrhundert (mit einer Höchstausbeute von 830 kg Gold und 27 23 kg Silber im Jahr 1557) wurde der Bergbau 1616 verstaatlicht. Die Produktion war durch die vorangehende privatwirtschaftliche Exploitation der vorhandenen Erzmittel am Nullpunkt angelangt. Das Erzbistum Salzburg war fortan der einzige Gewerke (Bergbauunternehmer) und betrieb den Bergbau weiter, wohl zu einem Gutteil nur deshalb, um "einer armen Bevölkerung Arbeit zu geben". Dieser "ärarische" (staatliche) Bergbau ging bis 1865. In der Folge taten sich private Gewerken zusammen und gründeten 1866 die Firma namens "Union Gewerkschaft", die dann in die Erste Gewerkschaft Rathausberg und anschließend in die Zweite Gewerkschaft Rathausberg, diese unter Dipl.-Ing. Dr. Karl Imhof, überging.
Im Jahr 1939 begann der Edron Trust, eine in London ansässige englische Bergbaufirma, mit Prospektionsarbeiten. Sie wurde Ende März von der deutschen Preuß-AG abgelöst. Diese gewann im Nassfeld hauptsächlich Arsen und etwas Edelmetall. In ein zweites großes Projekt sollte Risikokapital fließen. Man schlug nahe Böckstein in einer Höhe von 1 280 m ü. A. einen Erschließungsstollen von West nach Ost in den Radhausberg und stieß im Inneren, besonders bei ca. Laufmeter 1 880, auf eine Hitzekluft. Aus bergmännischer Sicht war der Stollen ein totaler Fehlschlag, denn man fand kaum Erz, geschweige denn Edelmetall. Man fand aber andererseits etwas, mit dem niemand zuvor gerechnet hatte: Radongas in der Stollenluft und eine Temperatur, die weit über jener lag, die aufgrund der geothermischen Tiefenstufe zu erwarten gewesen wäre. In der weiteren Folge und nach dem Rückzug der Preuß-AG teilte sich die "(Zweite) Gewerkschaft Rathausberg" auf, zum einen in die "Erzbergbau Radhausberg" (nun sprachgeschichtlich korrekt mit >d<) und, ab 1952, in die "Gasteiner Heilstollen-Betriebsgesellschaft", so bis heute.
Radongas, Wärme, Hohe Luftfeuchtigkeit
Es sind drei Wirkungsfaktoren, denen sich Patienten im Heilstollen aussetzen. Aber woher stammen diese?
Was die Luftfeuchtigkeit betrifft, so hatte schon der langjährige Betriebsleiter Ing. Karl Zschocke darauf hingewiesen, dass durch die von außen bis ins Innerste des Stollens hineinführenden Lüftungsrohre in Verbindung mit der normalen Stollenluft eine Zirkulation ermöglichen, die die Feuchtigkeit der Außenluft in den Stollen hineinbringt. Schwieriger ist eine Erklärung der Wärme und des Radongehalts. Vermutet wurde von Anfang an eine (kausale?) Ähnlichkeit mit dem Thermalwasser von Bad Gastein. Könnte es in der Gesteinsumgebung des Heilstollens so etwas wie eine riesige Thermalwasser-Kaverne geben? Tiefbohrungen vermochten nicht eine diesbezügliche Vermutung zu bestätigen. Zur Diskussion gestellt wurde auch eine Wärmeanomalie aufgrund einer irgendwo in der Nähe liegenden Magmakammer eines Batholithen; oder auch "Reste" der geothermischen Wärme aus einer Zeit, wo die Gesteins-Überlagerungsmasse noch um 1 000 Meter oder mehr höher war als heute (und Talausschürfungen noch nicht vorhanden waren). Eine Zeitlang galt als überlegenswert, ob nicht die im Stollen vorkommenden Uranmineralien (Uranophane) ursächlich an Wärme und Radioaktivität verantwortlich sein könnten. Von den im Stollen vorhandenen Gesteinen ist einzig der Granosyenit durch eine deutlich erhöhte Strahlung charakterisiert. Eine riesige Masse davon liegt als Gesteinsschicht oberhalb des Stollens und wird von der Haupthitzekluft durchquert. Keine dieser Überlegungen ist wissenschaftlich unumstritten. Vielleicht sind im Stollen exakt jene Wirkungsmechanismen aktiv, die in Bad Gastein für die Entstehung des Thermalwassers verantwortlich sind - ohne dass eine unmittelbare Abhängigkeit besteht.
Nun hat die Direktion des Heilstollens eine neue bestechend einfache und fast allzu plausible Theorie für das breite Besucherpublikum geboten: Das Thermalwasser steigt nur bis auf die Höhenkote 1 000 m auf und tritt dann in Bad Gastein aus, bewirkt aber gleichzeitig, dass der Wasserdampf noch ca. 300 Höhenmeter durch das Gestein weiter hinauf steigt und dem Stollen die hohe Luftfeuchtigkeit, das Radongas und die Hitze spendet. Von naturwissenschaftlicher Seite gibt es an dieser Theorie, die auf einer Abhängigkeit der Stollenwirkungsfaktoren von Thermalwasser basiert, etliche Zweifel. Vor allem ist von "Wasserdampf" im Stollen nichts zu bemerken, obwohl dazu sogar wissenschaftliche Versuche mit riesigen Glasglocken, über Wochen hinweg auf geebneten Klüften platziert und gegen außen abgedichtet, durchgeführt wurde. Vergeblich, es konnte kein Tropfen Wasser "eingefangen" werden. Schon Betriebsleiter Ing. Karl Zschocke sagte, dass das Gestein beim Stollenvortrieb überall "staubtrocken" (so wörtlich) sei. So bleibt nur zu hoffen, dass dieser jüngste und an sich ja durchaus einleuchtende Erklärungsversuch (Zuhilfenahme eines unsichtbaren Wasserdampfes) in naher Zukunft wissenschaftlich doch noch erhärtet werden kann. Die Hauptsache ist und bleibt, dass die Stollenkur nützt - und das tut sie in hervorragendem Maße.
Die Stollenkur
Dass die Stollenkur speziell bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises den meisten Patienten hervorragende Erfolge bringt, ist eine empirisch erwiesene Tatsache. Es war Chefarzt Dr. Otto Henn, der über Jahrzehnte hinweg die medizinischen Untersuchungen vor Ort durchführte und minutiös statistisch erfasste. Univ.-Prof. Dr. Anton Hittmair und Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Scheminzky kamen in einer gemeinsamen Stellungnahme zu folgender Aussage: "Die mit der Frage nach dem Heilwert des Radhausberg-Unterbaustoillens (Gasteiner Heilstollen)bei Badgastein-Böckstein betrauten Vorstände des Forschungsinstituts Gastein in Badgastein und der Medizinischen Universitätsklinik in Innsbruck haben ihre diesbezüglichen Ergebnisse verglichen und sind übereinstimmend zum abschließenden Urteil gelangt, dass der Behandlung im Stollen ein Heilwert zuzusprechen ist, welcher dem der Badekuren in Badgastein gleichkommt, bei einer beachtlichen Anzahl von Kranken aber dem Heilwert aller bisher gebräuchlichen, auch der modernsten Behandlungsmethoden übertrifft."
Heutzutage absolvieren pro Jahr rund 8 800 Kranke mit insgesamt ca. 84 000 Einzelanwendungen die meist drei Wochen dauernde Stollenkur. Man fährt mit Bus oder eigenem Auto (großer Parkplatz) von Böckstein aus zum Stollenkurhaus hinauf. Dieses Gebäude ist gewissermaßen der Eingangbahnhof für die Einfahrten in den Stollen, doch beherbergt es auch Ruheräume, die Patienten nach der Rückkehr aus dem Stollen aufsuchen, Ärztezimmer und Räume für zusätzliche physiotherapeutische Anwendungen. Vor der ersten Einfahrt muss man sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, wird dann einer der fünf Stationen zugeteilt, setzt sich anschließend in den von einer elektrischen Lokomotive gezogen Zug, zum Teil mit Liegewägen für Behinderte, und fährt ein. In der zugewiesenen Station angekommen, entledigt man sich der Kleidung und legt sich auf ein pritschenartiges Bett, wo man 50 Minuten ausharrt. Im Stollen ist an einer Stelle eine Art "Frischluft-Raum" vorhanden, in welchem sich das ärztliche Personal aufhält. In Notfällen kann innerhalb weniger Minuten ärztliche Hilfe geleistet werden bzw. auch eine rasche Notausfahrt organisiert werden. Man ist also auch im Stollen zu jeder Zeit bestens umsorgt und braucht keine Ängste zu haben.
Die Temperatur der sogenannten "Stationen" variiert von 37° C bis 41,5° C; Station I ist die "kühlste". Der Radongehalt in der Luft ("Emanation") wird mit 44 kBq/m³ angegeben; die Halbwertszeit beträgt ca. 30 Minuten. Nachdem man die abschließende Ruhephase absolviert hat, ist der Körper wieder völlig frei von Radon und man kann die Duschen aufsuchen.
Als Indikationen gelten alle Formen des Rheumatismus. Am bekanntesten - und beliebtesten! - ist der Heilstollen unter Patienten, die an Morbus Bechterew leiden. Sie berichten, dass im Nachklang einer Heilstollenkur die Einnahme von Medikamenten minimiert oder ganz unterlassen werden kann; allerdings berichten sie auch, dass die Schmerzen oft nach ungefähr einem Jahr wieder auftreten, sodass die Stollenkur wiederholt werden muss. Die Gattin des Verfassers hat 37 Stollenkuren hinter sich! Chefarzt Dr. Otto Henn nannte folgende Symptome: Steifheit in den Gelenken am Morgen, Schmerzen in mindestens einem Glied, ärztlich beobachtete Schwellung eines Gelenkes, symmetrische Gelenkanschwellungen im Bereich der Extremitäten, subkutana Knötchen in der Gelenkgegend, typische röntgenologische Knochenentkalkungen, Nachweis durch "Rheumafaktor". Sind drei der Symptome vorhanden, gilt die Diagnose "Polyarthritis" (chronisch-entzündlicher Gelenksrheumatismus) als wahrscheinlich. Die zweite große Gruppe nach Dr. Otto Henn betrifft die degenerativ rheumatischen Erkrankungen. Henn nennt "das große Gebiet der Spondylosen und Spondylarthrosen mit cervikalen, brachialgiformen und lumbalen Syndromen (Diskopathien und Lumbago)". In jüngerer Zeit finden auch Asthmatiker gute Besserung. Erschöpfend Auskunft gibt die hervorragende Broschüre, die die Direktion der Heilstollen-Gesellschaft speziell für Ärzte herausgebracht hat.
Weblink
Quellen
- Gasteiner Heilstollen (Hrsg.): Ärzte-Information Gasteiner Heilstollen Radon-Therapie. Verordnung/Indikationen/Wissenschaft, mit beiliegender CD, A- 5645 Böckstein, Heilstollenstraße, 2014
- Gruber, Fritz: Vom Gold zum Radon-Heilstollen: Niedergang und Neuanfang des Edelmetallbergbaus in den Hohen Tauern zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert, in: Der Anschnitt 68, Bochum 2016/H. 1-2, S. 14-34, mit weiterführender Literatur
- Gruber, Fritz: Mosaiksteine zur Geschichte Gasteins und seiner Salzburger Umgebung. Bergbau - Badewesen - Bauwerke - Ortsnamen - Biografien - Chronologie, Bad Gastein 2012
- Deetjen, Peter; Falkenbach, Albrecht; et. al.: Radon als Heilmittel. Therapeutische Wirksamkeit, biologischer Wirkungsmechanismus und vergleichende Risikobewertung (HIPPOKRATES Medizinische Forschungsergebnisse Bd. 67), Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2005. Deetjen und Falkenbach waren Forscher bzw. Ärzte im Heilstollen.
- Greinwald, Hermann: Die Gasteiner Kur. Therme und Heilstollen (Gasteiner Bücherei Bd. 8), Bad Gastein 1986
- Scheminzky, Ferdinand: Der Thermalstollen von Badgastein-Böckstein, seine Geschichte, Erforschung und Heilkraft (Forschungen und Forscher der Tiroler Ärzteschule, Bd. V), Innsbruck 1965