Urwald
Wenngleich es in Europa nur mehr vier Promille Urwald, gemessen an der gesamten Waldfläche, gibt, so verfügt auch das Bundesland Salzburg und das angrenzende Südbayern über kleine Reste von Urwald.
Reste
In den Salzburger Kalkhochalpen, den Hohen Tauern und im Nationalpark Berchtesgaden finden sich Reste von Urwäldern. So gibt es ein Überbleibsel der alpinen Laubmischwälder im Stubachtal. Im Kötschachtal bei Bad Gastein wird von den Bundesforsten ein seltener, hochgelegener Tannenwald geschützt.
Unser Urwald
Matthias Schickhofer setzt sich in seinem 2015 erschienenen Buch Unser Urwald mit den letzten Resten in Mitteleuropa auseinander. In der Pressemeldung vom Verlag schreibt Schickhofer:
Statement Matthias Schickhofer
"Ich will mit dem Buch Orte ganz in unserer Nähe präsentieren, die viele Menschen hier gar nicht mehr vermuten. Es gibt tatsächlich noch faszinierende Urwälder im Herzen Europas. Diese letzten ‚Botschafter’ einer uralten Welt sind ein besonderer ökologischer und genetischer Schatz. Unsere alten Rotbuchenwälder sind ein einzigartiges Weltnaturerbe – es gibt sie nur in Europa. Urwälder sind besondere Orte mit einem grandiosen Formenreichtum, voller surrealer Gestalten und mit besonderen Lichtstimmungen. Das ist für mich als Fotograf natürlich hochinteressant. Mit dem Buch will ich aber auch dazu beitragen, dass die Ur- und Naturwälder Mitteleuropas und deren Bewahrung stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. Denn: Unsere letzten Urwälder müssen Urwälder bleiben."
Hintergrund
Wilder Urwald, ganz in der Nähe...
Von dem im Zuge der Evolutionsgeschichte entstandenen "Ur-Europa" ist nicht mehr viel übrig: So sehr man in Europa auch gerne das Verschwinden der tropischen Regenwälder in anderen Erdteilen beklagt, so wenig haben wir es geschafft, die natürliche Vielfalt des "alten" Kontinents zu erhalten. Aber es gibt sie noch, die letzten Überlebenden unserer Märchen- und Fantasy-Wälder. Und sie sind näher, als viele denken...
Die Urwälder in Mitteleuropa umfassen knapp 170 000 Hektar oder vier Promille der Waldfläche in diesem Bereich. Den Löwenanteil an den verbliebenen Urwaldflächen haben Rumänien (mit 66 Prozent) und die Ukraine (mit 22 Prozent). Einzelne Gebiete wie der Uholka-Urwald in der Ukraine oder der Nera-Quellen-Urwald in Rumänien umfassen sogar mehrere tausend Hektar am Stück. Das sind unsere letzten großen Waldparadiese.
Der Anteil der Alpen beträgt nur 0,4 Prozent. Fast drei Viertel der Urwälder Mitteleuropas sind Buchen- und Buchenmischwälder, 23 Prozent sind Fichtenwälder.
Urwald – was ist das?
Urwälder sind das Resultat einer seit vielen Jahrmillionen andauernden ökologischen Evolution und bestens bewährten biologischen Prozessen. Als Urwälder bezeichnet man Waldökosysteme, die nicht bis kaum durch menschliche Eingriffe verändert wurden. Echte Urwälder haben seit ihrem Entstehen nach der letzten Eiszeit ununterbrochen eine natürliche Entwicklung durchlaufen und weisen heute Merkmale einer großen "Natürlichkeit" auf. Dazu zählen: Ungleichaltrigkeit von Bäumen, nebeneinander auftretende unterschiedliche Waldentwicklungsphasen, Vorhandensein von Totholz, große Artenvielfalt und Vorkommen von "Urwald-Arten" (besondere Insekten, Vögel oder Pilze) sowie keine Nutzungsspuren durch Menschen.
Europäsches Weltnaturerbe Rotbuchenwald
Diese letzten "Paradieswälder" beherbergen einen besonderen Schatz: Die mittel-, süd- bzw. osteuropäischen Urwälder waren einst vor allem von Rotbuchen beherrscht. Die Rotbuche kommt nur in Europa vor. Die verbliebenen Buchenwälder sind daher Europas herausragendes Weltnaturerbe: Das UNESCO-World Heritage Programm "Alte Buchenwälder Europas" will diese Wälder daher dauerhaft bewahren.
Verwunschene Welten
Unsere letzten Urwälder erinnern in der Tat an die computergenerierten Märchenwälder einschlägiger Fantasyfilme: Monumentale, mit Moos überwucherte Baumriesen. Eine faszinierende Vielfalt an Pilzen und Flechten. Schummriges Zwielicht. Eine Vielfalt an Arten, Formen und Gestalten, die in den oft gleichaltrigen Wirtschaftswäldern nicht mehr existiert. Durch die Wälder der Karpaten und Dinariden streifen auch noch Bären, Wölfe und Luchse - ihre Spuren sind häufig zu sehen und ihre Anwesenheit mitunter zu spüren.
Urwälder wie der Uholka-Wald in der Westukraine, der Nera-Quellen-Urwald in Rumänien oder die Wälder an der polnisch-slowakisch-ukrainischen Grenze ("Poloniny"-Gebiet) bilden regelrechte Waldmeere, die sich ohne jede menschliche Spur bis zum Horizont erstrecken. Archaische Landschaftseindrücke, die in Mitteleuropa ganz selten geworden sind.
Urwald – wem nützt das?
In ganz Europa werden seit etwa 1995 unter großen Anstrengungen Naturwälder außer Nutzung gestellt und dürfen sich nun wieder zu sekundären "Urwäldern" entwickeln. Zum Beispiel in den UNESCO Naturerbe-Reservaten in Deutschland, Slowakei, Rumänien und der Ukraine. Oder in Nationalparks, Wildnisgebieten und Naturwald-Reservaten. Herausragende Beispiele dafür finden sich auch in Österreich, Italien, Polen und der Schweiz. Insgesamt sind in Mitteleuropa heute aber nur noch wenige Prozent der Wälder in einem sehr naturnahen Zustand.
Ur- und Naturwälder sind freilich nicht nur von romantischer Bedeutung: Für die Waldforschung stellen sie wichtige "Nullflächen" (also unbeeinflusste Vergleichsflächen) dar. Sie sind letzte Rettungsinseln für viele Arten, die in den ökologisch verarmten Wirtschaftswäldern nicht überleben können. Und sie bewahren einen grandiosen genetischen Schatz: Das Resultat einer vom Menschen kaum bis nicht veränderten und jahrtausendelang optimierten natürlichen Evolution.
Unsere Ur- und Naturwälder brauchen besseren Schutz
Trotz all der Schutzanstrengungen bedrohen im "Westen" Europas forstwirtschaftliche Intensivnutzung und Bestandumwandlungen von Laubwäldern zu Nadelforsten viele verbliebene Naturwaldflächen. In den Ländern Mittelost- und Südeuropas nagen illegale Einschläge, die Gier von "Investoren" oder gar kriminellen Netzwerken an den Urwaldgebieten. Besonders davon betroffen ist Rumänien, wo die größten Urwälder Europas außerhalb von Russland überlebt haben.
Waldschutz ist für die Menschheit überlebenswichtig. Der Schutz von Ur- und Naturwäldern muss daher mehr Aufmerksamkeit im Europäischen Naturschutz erhalten! Ein gesteigertes öffentliches Bewusstsein kann dazu beitragen, den Schutz dieser einzigartigen Gebiete zu verstärken. Und das ist auch ein Ziel dieses Buches. Der Schwund unserer Natur- und Urwälder ist auch deshalb dramatisch, weil mit ihnen wertvolle "Hotspots" der Artenvielfalt verloren gehen. Die alten Wälder haben noch eine überaus brisante Bedeutung: In den Urwaldböden und in den oft riesenhaften Bäumen werden gewaltige Mengen an Kohlenstoff gespeichert – weit mehr als in Wirtschaftswäldern. Werden sie großflächig abgeholzt, können riesige Mengen Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt werden. Nach einem Kahlhieb dringt plötzlich viel mehr Licht zum Boden vor und der Humusabbau im Boden beschleunigt sich. Dadurch entweicht Kohlendioxid. Ein natur- und klimabewusster Waldbau vermeidet daher Kahlhiebe.
Projekt-Partner WWF: Nachhaltigkeit ist mehr als Summe der Bäume
"Wir müssen dringend eine bessere Balance zwischen Schützen und Nützen unserer Waldökosysteme herstellen. Wälder sind mehr als die Summe der Bäume. Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft darf nicht nur die Menge des nachwachsenden Holzes berücksichtigen, sondern muss vor allem auch die ökologische Säule inklusive Artenvielfalt und Klimaschutz mit einschließen. Dass wir Ökosystemleistungen des Waldes nutzen ist selbstverständlich, aber wir müssen auch einen Teil unserer Wälder vor dem Eingreifen bewahren. Das gilt nicht nur für die tropischen Wälder der Süd-Hemisphäre sondern auch für die letzten verbleibenden paradiesischen Ur- und Naturwälder Europas.", meint WWF Wildnis-Experte (und Buchprojekt-Partner) Michael Zika.
Weblinks
Quelle
Rückfragehinweis Brandstätter