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==== Brief vom 15. und 16. November 1871 von Fanni Schlegel an Franz II. Xaver Gregor Spängler ====
 
==== Brief vom 15. und 16. November 1871 von Fanni Schlegel an Franz II. Xaver Gregor Spängler ====
 
15. November, Brief 5 Kr. aufgedruckt. "XLI erh 17/11 beantw 18/11".<br />
 
15. November, Brief 5 Kr. aufgedruckt. "XLI erh 17/11 beantw 18/11".<br />
''Herrn Doctor Franz Spängler...: 5 ¾ Uhr. Mein lieber Franz! Wenn dieser Brief etwas verwirrt sein sollte, so bitte ich, dich hierüber nicht zu wundern, da die holde Näherin an meiner Seite sitzt und ab und zu mit mir spricht. – Für deinen lieben Brief meinen besten Dank, hast du noch nichts über das Befinden deines Hrn: Collegen erfahren, weißt du, sein Wol liegt mir sehr am Herzen, und ich wünsche innig seine Genesung vor Weihnachten! Das klingt sehr edel, nicht wahr, und doch ist es der reine Egoismus, der aus mir spricht, denn ich möchte dich so gerne für länger hier haben zu Weihnachten, und so sollten nur wenige Tage des Beisammenseins uns gegönnt sein. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß du doch eine Woche hier zubringen wirst können. O wie ich mich freue! Meine Großmutter ist soeben sehr böse auf mich, doch fühlt sich mein Gewissen ganz ruhig darüber. Verzeihe wenn ich dir so unwichtiges erzähle. Erinnerst du dich, als wir am 16 September bei der Überfuhr'' [Fähre] ''waren, wurde davon gesprochen, daß im Laufe dieses Winters regelmäßige Leseabende bei Ludwig [[Zellner]] stattfinden sollten. Meines Wissens wurde auch später die Großmutter unterrichtet. Seither war keine Rede mehr und ich dachte mit den Leseabenden wird es Nichts. Heute früh nun meldet sich Lida daß heute der erste Leseabend in Ludwigs Wohnung sein werde. Ich dachte gleich, daß Großmutter nicht damit einverstanden sein werde und wagte heute den ganzen Tag nicht davon zu sprechen. Gegen 4 Uhr kommt Mama [[Zellner]] und macht für heute und jeden 6.Tag die Einladung. Großmutter sagt zu meiner Verwunderung ziemlich freundlich zu. Mittlerweile kam deine gute Mutter mit dem kleinen Otto, und ich ahnte nichts Schlimmes. Kaum waren wir aber allein, als Großmutter schrecklich mit mir zankte, daß ich nicht früher etwas gesagt habe X'' [eingefügt] ''daß ich ein falsches Geschöpf bin X ferners daß ich keinen Sinn für Häuslichkeit habe, sondern immer fortlaufen will u. s. fort. Ich blieb ganz ruhig Gott sei Dank, aber gekränkt haben die Vorwürfe mich doch. Ich gestehe, daß ich ganz gern an den Lesungen teilnehmen würde, wenn nicht die Großmutter so böse darüber wäre. Sie will jetzt überhaupt gar nicht, daß ich irgendwohin gehe, am wenigsten daß ich einen Abend außer dem Hause zubringe. Was wird sie thun, wenn ich einmal ganz fort bin. O, ich habe Angst vor dem Abschiede, ich fürchte, sie wird sich sehr schwer an meine Abwesenheit gewöhnen, wenngleich sie mir in der Aufregung heute versicherte, sie sei froh, wenn ich fort bin. –  
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''Herrn Doctor Franz Spängler...: 5 ¾ Uhr. Mein lieber Franz! Wenn dieser Brief etwas verwirrt sein sollte, so bitte ich, dich hierüber nicht zu wundern, da die holde Näherin an meiner Seite sitzt und ab und zu mit mir spricht. – Für deinen lieben Brief meinen besten Dank, hast du noch nichts über das Befinden deines Hrn: Collegen erfahren, weißt du, sein Wol liegt mir sehr am Herzen, und ich wünsche innig seine Genesung vor Weihnachten! Das klingt sehr edel, nicht wahr, und doch ist es der reine Egoismus, der aus mir spricht, denn ich möchte dich so gerne für länger hier haben zu Weihnachten, und so sollten nur wenige Tage des Beisammenseins uns gegönnt sein. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß du doch eine Woche hier zubringen wirst können. O wie ich mich freue! Meine Großmutter ist soeben sehr böse auf mich, doch fühlt sich mein Gewissen ganz ruhig darüber. Verzeihe wenn ich dir so unwichtiges erzähle. Erinnerst du dich, als wir am 16 September bei der Überfuhr'' [Fähre, Anm.] ''waren, wurde davon gesprochen, daß im Laufe dieses Winters regelmäßige Leseabende bei Ludwig [[Zellner]] stattfinden sollten. Meines Wissens wurde auch später die Großmutter unterrichtet. Seither war keine Rede mehr und ich dachte mit den Leseabenden wird es Nichts. Heute früh nun meldet sich Lida daß heute der erste Leseabend in Ludwigs Wohnung sein werde. Ich dachte gleich, daß Großmutter nicht damit einverstanden sein werde und wagte heute den ganzen Tag nicht davon zu sprechen. Gegen 4 Uhr kommt Mama [[Zellner]] und macht für heute und jeden 6.Tag die Einladung. Großmutter sagt zu meiner Verwunderung ziemlich freundlich zu. Mittlerweile kam deine gute Mutter mit dem kleinen Otto, und ich ahnte nichts Schlimmes. Kaum waren wir aber allein, als Großmutter schrecklich mit mir zankte, daß ich nicht früher etwas gesagt habe X'' [eingefügt, Anm.] ''daß ich ein falsches Geschöpf bin X ferners daß ich keinen Sinn für Häuslichkeit habe, sondern immer fortlaufen will u. s. fort. Ich blieb ganz ruhig Gott sei Dank, aber gekränkt haben die Vorwürfe mich doch. Ich gestehe, daß ich ganz gern an den Lesungen teilnehmen würde, wenn nicht die Großmutter so böse darüber wäre. Sie will jetzt überhaupt gar nicht, daß ich irgendwohin gehe, am wenigsten daß ich einen Abend außer dem Hause zubringe. Was wird sie thun, wenn ich einmal ganz fort bin. O, ich habe Angst vor dem Abschiede, ich fürchte, sie wird sich sehr schwer an meine Abwesenheit gewöhnen, wenngleich sie mir in der Aufregung heute versicherte, sie sei froh, wenn ich fort bin. –  
    
''Liebster Freund, sei nicht böse über dieses Geschreibsel, es war mir eine Erleichterung, denn daß ich durch so etwas nicht erheitert werde, kannst du dir denken. Ich kann es nicht ertragen, Jemand gegen mich aufgebracht zu wißen und ich werde auch jetzt mein Bestes thun, daß Großmutter wieder gut wird. Um deine Frage der Wahrheit gemäß zu beantworten, will ich nur gestehen, aber ganz heimlich, daß es mir wol gar viel lieber ist, wenn du mit Ungeduld den Tag herbeisehnst, wen[n] ich dein werde, als wenn du allzu gleichmüthig sein Herankommen erwartest, und ich meine, auch ich würde mehr Ungeduld empfinden, sähe ich nicht noch so sehr viel zu thun vor mir, daß ich oft meine, es ist gar nicht möglich, daß Alles fertig wird. Wenn nur erst Weihnachten ist! Nun ich deine Frage beantwortet habe, möchte ich ganz gehorsamst um eine nützliche Auskunft bitten, und zwar, ob du mir sagen könntest, wie man von Mödling Correspondenzkarten am sichersten an Frau Antonia Spängler in Salzburg'' [Mutter vom Franz, "unsere Mutter"] ''befördert? Indem man sie ohne Adresse anschreibt, nicht wahr? – Nun muß ich mich zum Leseabend rüsten, daher lebe wol, mein Lieber.'' [auf dem Kopf:] ''Großmutter grüßt. Deine gute Mutter trug mir auch gestern viele Grüße auf.
 
''Liebster Freund, sei nicht böse über dieses Geschreibsel, es war mir eine Erleichterung, denn daß ich durch so etwas nicht erheitert werde, kannst du dir denken. Ich kann es nicht ertragen, Jemand gegen mich aufgebracht zu wißen und ich werde auch jetzt mein Bestes thun, daß Großmutter wieder gut wird. Um deine Frage der Wahrheit gemäß zu beantworten, will ich nur gestehen, aber ganz heimlich, daß es mir wol gar viel lieber ist, wenn du mit Ungeduld den Tag herbeisehnst, wen[n] ich dein werde, als wenn du allzu gleichmüthig sein Herankommen erwartest, und ich meine, auch ich würde mehr Ungeduld empfinden, sähe ich nicht noch so sehr viel zu thun vor mir, daß ich oft meine, es ist gar nicht möglich, daß Alles fertig wird. Wenn nur erst Weihnachten ist! Nun ich deine Frage beantwortet habe, möchte ich ganz gehorsamst um eine nützliche Auskunft bitten, und zwar, ob du mir sagen könntest, wie man von Mödling Correspondenzkarten am sichersten an Frau Antonia Spängler in Salzburg'' [Mutter vom Franz, "unsere Mutter"] ''befördert? Indem man sie ohne Adresse anschreibt, nicht wahr? – Nun muß ich mich zum Leseabend rüsten, daher lebe wol, mein Lieber.'' [auf dem Kopf:] ''Großmutter grüßt. Deine gute Mutter trug mir auch gestern viele Grüße auf.
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''16. November ½ 10 Uhr früh. Nachdem ich meine Pflichten am Bügelbrett erfüllte, gestatte ich mir, ein halbes Stündchen mit dir zu plaudern. Vorerst muß ich berichten, daß Großmutter heute wieder ziemlich gut ist. Der gestrige Leseabend war ganz hübsch. Es wurde aus dem Buche "über menschliche Schwächen" gelesen, weißt du, wir haben es bei [[Zellner]] mitsammen durchblättert. Ich malte mir gestern aus, wie hübsch es sein wird, wenn wir in unserer eigenen behaglich eingerichteten Wohnung miteinander lesen werden. – Letzten Samstag begann ich die Frithiofssage zu lesen, bin aber erst bis zum 3.Gesang gekommen, da ich die für jeden Abschnitt treffenden Erklärungen gleich mitlas. Es ist mir interessant, daß soviel über die nordische Götterlehre in dem Buche enthalten ist, ich hatte längst gewünscht den altgermanischen Sagenkreis etwas näher kennen zu lernen. – Heute treffen aus Geibels Gedichten'' [Emanuel Geibel, * 1815; † 1884] '': Sehnsucht u. das Sonett: Dichterleben, ich hoffe wir sind bezüglich der Gedichte in der Ordnung'' [gemeinsame parallele Lektüre] ''. – Die Sammlung deiner lieben Briefe ist für mich ein liebes Eigenthum, und es geschieht wol in freien Minuten, daß ich mich an dem Anblick des stattlichen Paketes erfreue, auch wenn ich Zeit habe, einen oder den anderen Brief durchlese. – Das habe ich im Leben nie gedacht daß ich einmal so viele Briefe schreiben werde, und daß mir diese Beschäftigung so lieb werden könne, denn bis zum Juni 1871 hatte ich wenig Lust am Briefschreiben. Es ist gut, daß ich mich im Briefschreiben übe, da ich von hier fortkomme, werde ich wol ziemlich oft die Feder zur Hand nehmen, um nicht ganz aus dem Verkehr mit meinen hiesigen Bekannten zu kommen. – Doch ich darf nicht mehr weiter schreiben, sondern muß wieder nach meiner Arbeit sehen. Jetzt sind noch 21 Wochen bis Anfang April. – Daß du für den nächsten Brief mehr Muße findest wünscht herzlich deine treue Fanni''
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''16. November ½ 10 Uhr früh. Nachdem ich meine Pflichten am Bügelbrett erfüllte, gestatte ich mir, ein halbes Stündchen mit dir zu plaudern. Vorerst muß ich berichten, daß Großmutter heute wieder ziemlich gut ist. Der gestrige Leseabend war ganz hübsch. Es wurde aus dem Buche "über menschliche Schwächen" gelesen, weißt du, wir haben es bei [[Zellner]] mitsammen durchblättert. Ich malte mir gestern aus, wie hübsch es sein wird, wenn wir in unserer eigenen behaglich eingerichteten Wohnung miteinander lesen werden. – Letzten Samstag begann ich die Frithiofssage zu lesen, bin aber erst bis zum 3.Gesang gekommen, da ich die für jeden Abschnitt treffenden Erklärungen gleich mitlas. Es ist mir interessant, daß soviel über die nordische Götterlehre in dem Buche enthalten ist, ich hatte längst gewünscht den altgermanischen Sagenkreis etwas näher kennen zu lernen. – Heute treffen aus Geibels Gedichten'' [Emanuel Geibel, * 1815; † 1884, Anm.] '': Sehnsucht u. das Sonett: Dichterleben, ich hoffe wir sind bezüglich der Gedichte in der Ordnung'' [gemeinsame parallele Lektüre, Anm.] ''. – Die Sammlung deiner lieben Briefe ist für mich ein liebes Eigenthum, und es geschieht wol in freien Minuten, daß ich mich an dem Anblick des stattlichen Paketes erfreue, auch wenn ich Zeit habe, einen oder den anderen Brief durchlese. – Das habe ich im Leben nie gedacht daß ich einmal so viele Briefe schreiben werde, und daß mir diese Beschäftigung so lieb werden könne, denn bis zum Juni 1871 hatte ich wenig Lust am Briefschreiben. Es ist gut, daß ich mich im Briefschreiben übe, da ich von hier fortkomme, werde ich wol ziemlich oft die Feder zur Hand nehmen, um nicht ganz aus dem Verkehr mit meinen hiesigen Bekannten zu kommen. – Doch ich darf nicht mehr weiter schreiben, sondern muß wieder nach meiner Arbeit sehen. Jetzt sind noch 21 Wochen bis Anfang April. – Daß du für den nächsten Brief mehr Muße findest wünscht herzlich deine treue Fanni''
    
"Frithiofssage": wohl "Frithiofs saga" in 24 Gesängen von Esaias Tegnér, 1825; aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen 1826 und 1841 (und neuere Übersetzungen). Mit "Aufführung" ist vielleicht ein Leseabend gemeint.
 
"Frithiofssage": wohl "Frithiofs saga" in 24 Gesängen von Esaias Tegnér, 1825; aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen 1826 und 1841 (und neuere Übersetzungen). Mit "Aufführung" ist vielleicht ein Leseabend gemeint.