Die Vertreibung der evangelischen Christen aus dem Defereggental
Die Vertreibung der evangelischen Christen aus dem Defereggental ereignete sich Ende 1664 und Anfang 1665 im damals zum Erzbistum Salzburg gehörenden Defereggental.
Ereignisse bis zur Ausweisung
Da das Tal für die Landwirtschaft zu karg war, mussten sich die Bewohner um einen Nebenerwerb umsehen und wandten sich oft dem Wanderhandel zu. Dabei kamen die Einwohner des Pfleggericht Windisch-Matrei als Hausierer und Spielleute auf ihren Reisen häufig in evangelische Gegenden. Von dort nahmen sie neben der Kenntnis des Glaubens auch evangelische Schriften mit in ihre Heimat. Diese wurden häufig gelesen und auch bei Zusammenkünften besprochen.
1683 zeigte der Bildschnitzer Peter von Lienz an, das im Tal die Heiligenbilder verachtet und geschmäht würden, was zu einer strengen Untersuchung führte. Nach der Untersuchung wurden zwei Kapuziner, Pater Fortunat und Pater Otto, geschickt, die die Bewohner bekehren sollten. Gut die Hälfte der Gläubigen, so ergab eine Visitation im Sommer 1684, hing nicht mehr dem Katholizismus an sondern neigte dem Protestantismus zu, der seit Jahrzehnten im Geheimen praktiziert worden war und sich verdeckt hatte ausbreiten können. Da alle Bemühungen scheiterten, erhielt der Pfleger von Windisch-Matrei Wolfgang Adam Lasser von Erzbischof Max Gandolf den Befehl, die Führer der Protestanten gefangen zu nehmen und ihm vorzuführen. Der Erzbischof musste ihm sogar, der die Stimmung im Tal sehr gut kannte, mit Amtsenthebung drohen, bis dieser dem Befehl nachkam.
Da das Gerücht verbreitet war, dass auch gegen alle anderen vorgegangen werden soll, übergab am 24. Juli 1684 eine Abordnung von 70 Defreggern dem Pfleger eine Bittschrift an den Erzbischof. In der Bittschrift stellten sie fest, dass sie keiner Sekte angehören und dass sie weiterhin Steuern und Abgaben zahlen wollen, wenn sie in ihrer Heimat bleiben dürfen.
Am 7. November 1684 verlas Pfleger Lasser rund 50 Personen den Ausweisungsbefehl. In ihm wurde festgelegt, dass Ledige und Mittellose das Land innerhalb von 8 Tagen, Bauern innerhalb von vier Wochen zu verlassen hätten. Am schwersten traf sie aber die Bestimmung, dass alle Kinder unter 15 Jahren zurückgelassen werden müssen. Diese sollten katholischen Ehepaaren zur Erziehung übergeben werden.
Auswanderung und Schicksal der Vertriebenen
Am 10. Dezember 1684 mussten die ersten Ledigen ihre Heimat verlassen. Für die Verheirateten wurde eine Frist von sechs Wochen gesetzt. Für den Unterhalt der Kinder wurden zwei Drittel des Verkaufspreis ihrer Güter zurückgehalten. Die Deferegger versuchten nochmals, mit Bittgesuchen ihre Lage zu mildern, was aber umsonst war. Am 13. Dezember 1684 verließ der erste Trupp, bestehend aus etwa 50 Personen, das Tal. Am 29. Dezember folgten etwa 140 Personen und 1685 die restlichen Protestanten.
Die 289 Kinder im Alter von unter 15 Jahren mussten zurückgelassen werden, diese wurden über das ganze Land verteilt, wobei nicht einmal Geschwister zusammenbleiben durften.
Da nur wenige der Vertriebenen Pferd und Wagen besaßen, luden sie ihr Gepäck auf Hörnerschlitten und bahnten sich zu Fuß den Weg durch den Schnee. Als Ziel hatten sie Augsburg, Regensburg und Ulm vor sich. Im Laufe des Jänner erreichte eine 26 Personen umfassende Gruppe Ulm, eine andere mit 52 Männern und Frauen Augsburg. Da der Pfleger von Windisch-Matrei den Trupp kaum überwachen ließ, nutzte der zweite Trupp der Exulanten dies aus und nahm die Kinder mit. Der Pfleger erhielt einen strengen Verweis und die Kinder wurden den Eltern wieder abgenommen. Zehn Mütter, die sich nicht von ihren zum Teil erst wenigen Wochen alten Kindern trennen wollten, wurden ins Tal zurückgebracht, wobei ein Kind starb. Die Kinder wurden nach Ankunft den Müttern sofort weggenommen und sie mussten das Land wieder verlassen. Erst nach langer Wanderung trafen sie in Augsburg ihre Angehörigen wieder.
Nach einem amtlichen Verzeichnis emigrierten 1684/85 aus dem salzburgischen Teil des Defereggentals 570 Personen. Im Ganzen dürfte das Defereggental durch die Vertreibung zwischen 800 und 900 Menschen verloren haben. Die Aussiedler und Glaubensflüchtlinge hinterließen über 90 Liegenschaften, meist Höfe, die von Käufern aus dem Tal und der näheren Umgebung, die Katholiken sein mussten, erworben wurden.
Einige Emigraten kamen mit Beginn des Jahres 1685 wieder ins Tal zurück, weil ihnen die Durchreise durch Bayern verwehrt wurde. Sie konnten aber nicht bleiben, sondern wurden über Bozen in die Schweiz weitergeschickt.
Letzte Ereignisse
Nachdem die Vertreter der evangelischen Reichsstände (Corpus Evangelicorum) in Augsburg einen Bericht über die Vorkommnisse erhielten, intervenierte sie im Juli 1685, im November 1686, Februar und September 1687 und Februar bzw. März 1688 wegen der erzwungenen Auswanderung der Deferegger Protestanten beim Salzburger Erzbischof und beim Kaiser wegen der Verletzung der Bestimmungen des Westfälischen Friedens. Dieser gewährte Andersgläubigen eine Frist von drei Jahren zur Auswanderung. Ebenso durfte nicht verhindert werden, dass Kinder mitgenommen werden. Der Bischof lehnte mit der Begründung ab, dass es Sektierer und nicht Anhänger des Augsburger Bekenntnisses gewesen seien. Daraufhin wurden die durchziehenden Deferegger in Ulm einer Religionsprüfung unterzogen, wobei sie sich als gute evangelische Christen zeigten, wie der Superindentent von Ulm feststellte.
Aus Dankbarkeit, dass in diesem Tal die "Häresie" ausgerottet werden konnte, stiftete Erzbischof Max Gandolf von Kuenburg der Kirche St. Veit eine Glocke
1689 wurde den Eltern erlaubt, ihre Kinder zu holen, wobei sie nach lutherischen Schriften untersucht wurden und streng überwacht. Um es der jungen Generation unmöglich zu machen, lutherische Schriften zu lesen, ließ der Bischof die Schule im Defereggertal schließen.
Da immer wieder weitere Protestanten ausgewiesen wurden und der Anschein entstand, dass das ganze Tal entvölkert wurde, gab Erzbischof Johann Ernst Graf Thun den Befehl, die Vertreibungen einzustellen. Er schickte sogar einen Mann namens Veit Manitzer ins Reich, um Exilanten zurückzuholen. Er traf in Ulm auf 80 Deferegger, wurde aber so unfreundlich behandelt, dass er es vorzog nach Salzburg zurückzukehren.
Quellen
- Gerhard Florey: Protestenten im Lungau und Pinzgau, im Defereggental und am Halleiner Dürrnberg in: Reformation-Emigration-Protestanten in Salzburg, Katalog der Ausstellung im Schloss Goldegg, 1981 S. 80-83
- Wilfried Beimrohr: Die Vertreibung der Deferegger Protestanten 1684/85
- Verzeichnis der protestantischen Exulanten aus dem Defereggental 1684/85