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| | Pfarrer Linsinger wurde am [[1. August]] [[1943]] nach Großarl versetzt, "aber er stand zu seinem Wort und als die ersten Bomben auf [[Salzburg]] fielen, brachte meine Mutter schweren Herzens das jüngste Kind, die dreijährige Bettina, in die Großarler Pfarre, wo die Pfarrköchin, die Kaisermama, rührend für das kleine Mädchen sorgte. Und als eines Nachts, im Sommer [[1944]], ein Freund der Familie, der Arzt Dr. Rudolf Peyrer Heimstätt, zu uns kam, uns weckte und drängte, sofort zu fliehen, da nahmen wir so gut wie nichts mit. Unsere Ausweise mit dem verräterischen 'J' verbrannten wir. Der [[Hauptbahnhof]] war bereits bombardiert, Dr. Peyrer wusste aber, dass ein Flüchtlingszug in [[Aigen]] stand, den galt es zu erreichen." Tage später fand eine große Razzia statt. Die Nazis machten Jagd auf Juden. | | Pfarrer Linsinger wurde am [[1. August]] [[1943]] nach Großarl versetzt, "aber er stand zu seinem Wort und als die ersten Bomben auf [[Salzburg]] fielen, brachte meine Mutter schweren Herzens das jüngste Kind, die dreijährige Bettina, in die Großarler Pfarre, wo die Pfarrköchin, die Kaisermama, rührend für das kleine Mädchen sorgte. Und als eines Nachts, im Sommer [[1944]], ein Freund der Familie, der Arzt Dr. Rudolf Peyrer Heimstätt, zu uns kam, uns weckte und drängte, sofort zu fliehen, da nahmen wir so gut wie nichts mit. Unsere Ausweise mit dem verräterischen 'J' verbrannten wir. Der [[Hauptbahnhof]] war bereits bombardiert, Dr. Peyrer wusste aber, dass ein Flüchtlingszug in [[Aigen]] stand, den galt es zu erreichen." Tage später fand eine große Razzia statt. Die Nazis machten Jagd auf Juden. |
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| | + | ==Zeitzeugen== |
| | + | Angelica Bäumer im Interview mit den Salzburger Nachrichten am 13. April 2011: |
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| | + | '''SN:''' Wie war das, als jüdisches Kind in Salzburg zu leben? <br /> |
| | + | '''Bäumer:''' 1944 holte uns in Salzburg ein, was in Deutschland gesät worden war. Ich ging noch ins Gymnasium. Eines Tages wurde ich nicht in die Jungmädchen-Gruppe gelassen, die Scharführerin sagte mir nur, ich müsse mich am Bann melden. Ich ging also auf die Edmundsburg, auf halbem Weg zu unserem Haus auf dem Mönchsberg, und erfuhr dort von einer sehr besorgten BDM-Führerin, dass ich leider aus der Hitlerjugend ausgeschlossen worden sei, weil ich ein Bastard sei. Ich kannte das Wort nicht und sie war so freundlich mir zu sagen, dass ein Bastard ein Mensch sei, dessen einer Elternteil ein widerwärtiger Jude, dessen anderer aber ein Volksschädling sei, weil er einen Juden zum Partner habe. |
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| | + | '''SN:''' Nach Großarl kamen Sie? <br /> |
| | + | '''Bäumer:''' In einer unfreundlichen kalten Nacht, um drei Uhr früh, mit wenig Gepäck und doch furchtbar beladen, fuhren wir vom Bahnhof Aigen weg. Erst nach Umwegen kamen wir auf die Straße nach Großarl und nie waren die 16 Kilometer so lang und anstrengend. Mein Bruder war stumm vor Überanstrengung und Müdigkeit, er war ja erst neun Jahre alt, er verstand nur die Angst, aber sonst nichts. |
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| | + | '''SN:''' Und in Großarl? <br /> |
| | + | Bäumer : Am nächsten Morgen beriet Pfarrer Linsinger mit meiner Mutter und mir, wie wir uns verhalten sollten, denn Großarl war voll von Nazis, die alle, uns und den Pfarrer, sofort denunziert hätten. Pfarrer Linsinger predigte jeden Sonntag unerschrocken von den Teufeln und Besessenen dieser Welt und jeder konnte verstehen, wen und was er da meinte. |
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| | + | '''SN:''' Wie war der Alltag? <br /> |
| | + | '''Bäumer:''' Es galt, nicht aufzufallen. Wir hatten beschlossen, Ausgebombte aus Wien zu sein, das erklärte auch, warum wir keine Papiere hatten. Aber in die Schule mussten ich und mein Bruder gehen. Wir gingen sogar sehr gern dort in die einklassige Schule, in der nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurde, sondern ein sehr musikalischer Lehrer viel mit den Kindern musizierte. |
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| | + | '''SN:''' Und ihre Erinnerungen? <br /> |
| | + | '''Bäumer:''' Ich war ein Kind damals und heute bin ich Großmutter. Aber nichts, was ich damals erlebte, ist vergessen, zu tief prägen sich derartige Erfahrungen in Geist und Seele eines Menschen ein. Ich bin nicht religiös erzogen worden, obwohl mich meine Eltern 1938 taufen ließen, in der Hoffnung, das würde die Nazis besänftigen, wir sind ja nicht mehr 'jüdisch'. Wir wissen heute, und auch meine Eltern erfuhren es bald, dass das nichts nützte. Jude blieb Jude. Mein großes Erlebnis erfuhr ich durch die wahrhaft menschliche Tat des katholischen Pfarrers Linsinger. Er, ein einfacher, tief gläubiger Christ, hat mich die Achtung vor dem Christentum gelehrt, auch wenn mir die Gnade des Glaubens nicht gegeben ist. Meine Schwester besuchte den alt gewordenen Balthasar Linsinger in seinem Alterssitz im Lungau. Als er sich bedankte für ihren Besuch, sagte meine Schwester: 'Aber Sie haben uns ja auch das Leben gerettet.' 'So', sagte er, 'habe ich das?' |
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| | ==Quellen== | | ==Quellen== |