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| | Einen Gehstock, den besaß der Mann, der an der Schwelle zu seinem hundertsten Lebensjahr stand. In seiner Wohnung in Salzburg-[[Lehen (Stadt Salzburg)|Lehen]] war alles tipptopp. Zum Essen wurde er abgeholt und seine Söhne riefen jeden Tag an und sie kamen oft mit ihren Familien auf Besuch. Seine Frau war schon vor vielen Jahren gestorben. | | Einen Gehstock, den besaß der Mann, der an der Schwelle zu seinem hundertsten Lebensjahr stand. In seiner Wohnung in Salzburg-[[Lehen (Stadt Salzburg)|Lehen]] war alles tipptopp. Zum Essen wurde er abgeholt und seine Söhne riefen jeden Tag an und sie kamen oft mit ihren Familien auf Besuch. Seine Frau war schon vor vielen Jahren gestorben. |
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| − | Der Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] fällt mit Kratzers Geburtsjahr zusammen. Dieser Krieg hatte ihm den Vater genommen. "''Ich kenne nur ein Bild von ihm.''“ Er machte eine Ausbildung zum Tischler, dann zum Funker und wieder kam ein Krieg. Ignaz Kratzer machte Dienst in vielen Regionen und blieb immer mit Flugzeugen verbunden. Er überlebte und las im Juni 1946 eine Anzeige in den eben erst ein Jahr alt gewordenen "Salzburger Nachrichten“: "''Redaktionsfunker gesucht!''“ Er machte sich auf in Richtung des damaligen SN-Verlagshauses [[Bergstraße]] 12 – und traf vor dem Tor einen Freund. Ihn hatte er im Krieg aus den Augen verloren. Auch der Freund war am Posten interessiert. "''Direktor [[Max Dasch senior|Dasch]] hat uns beide genommen.''“ | + | Der Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] fällt mit Kratzers Geburtsjahr zusammen. Dieser Krieg hatte ihm den Vater genommen. "''Ich kenne nur ein Bild von ihm.''" Er machte eine Ausbildung zum Tischler, dann zum Funker und wieder kam ein Krieg. Ignaz Kratzer machte Dienst in vielen Regionen und blieb immer mit Flugzeugen verbunden. Er überlebte und las im Juni 1946 eine Anzeige in den eben erst ein Jahr alt gewordenen "Salzburger Nachrichten": "''Redaktionsfunker gesucht!''" Er machte sich auf in Richtung des damaligen SN-Verlagshauses [[Bergstraße]] 12 – und traf vor dem Tor einen Freund. Ihn hatte er im Krieg aus den Augen verloren. Auch der Freund war am Posten interessiert. "''Direktor [[Max Dasch senior|Dasch]] hat uns beide genommen.''" |
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| − | Unter dem Begriff 'Redaktionsfunker' konnte sich heute (2013) außer Kratzer wohl kaum noch jemand etwas vorstellen. "''Wir haben die Nachrichtendienste abgehört. Von den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen. Wir haben die Morsezeichen aufgefangen.''“ Ignaz Kratzer und sein Freund nahmen am Kopfhörer keine Stimmen wahr, sondern Signallaute. Das Morsealphabet setzt sich aus den Grundelementen kurzes Signal, langes Signal und Pause zusammen. Diese Zeichen übertrugen die Funker in Worte und tippten sie auf einer Schreibmaschine ab. | + | Unter dem Begriff 'Redaktionsfunker' konnte sich heute (2013) außer Kratzer wohl kaum noch jemand etwas vorstellen. "''Wir haben die Nachrichtendienste abgehört. Von den Amerikanern, den Engländern und den Franzosen. Wir haben die Morsezeichen aufgefangen.''" Ignaz Kratzer und sein Freund nahmen am Kopfhörer keine Stimmen wahr, sondern Signallaute. Das Morsealphabet setzt sich aus den Grundelementen kurzes Signal, langes Signal und Pause zusammen. Diese Zeichen übertrugen die Funker in Worte und tippten sie auf einer Schreibmaschine ab. |
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| − | Kratzer erinnerte sich an eine typische Alltagsszenen: "''Ich habe getippt und auf einmal steht [[Alfons Dalma]], der Redakteur, der dann beim Fernsehen war, hinter mir und reißt das Blatt aus der Maschine, liest durch, was ich geschrieben habe, lässt das Blatt fallen, geht zur Frau Fankhauser, das war die Sekretärin und beginnt laut zu diktieren. Sie hat noch schnell einen Zug aus der Zigarette genommen und ich hab’ mich beeilen müssen, ein neues Blatt einzuspannen.“ | + | Kratzer erinnerte sich an eine typische Alltagsszenen: "''Ich habe getippt und auf einmal steht [[Alfons Dalma]], der Redakteur, der dann beim Fernsehen war, hinter mir und reißt das Blatt aus der Maschine, liest durch, was ich geschrieben habe, lässt das Blatt fallen, geht zur Frau Fankhauser, das war die Sekretärin und beginnt laut zu diktieren. Sie hat noch schnell einen Zug aus der Zigarette genommen und ich hab’ mich beeilen müssen, ein neues Blatt einzuspannen." |
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| − | Der Arbeitstag dauerte nicht selten bis vier Uhr früh. Wenn Kratzer Reden des amerikanischen Präsidenten mittippte, waren es Worte von Harry S. Truman. Eines Tages wollten die amerikanischen Besatzer den Redaktionsfunker nach Wien zum "Kurier“ holen. Kratzer kündigte und machte bald alles wieder rückgängig. Der Wiener, der in Salzburg eine Familie gegründet hatte, blieb an der [[Salzach]] verwurzelt und kehrte zu den SN zurück. Im März 1952 kam ein Ruf der Flugsicherung in Salzburg-[[Maxglan]]. Kratzer wechselte zum Flugplatz und erlebte die Jahre von der unscheinbaren Baracke am Flugfeld bis zum Ausbau zum internationalen Flughafen mit. Er verfasste Flugpläne und arbeitete auch eng mit berühmten Privatpiloten zusammen. "''Mit [[Herbert von Karajan]] bin ich einmal sogar mitgeflogen. [[Heinz Rühmann]] war oft da und [[Niki Lauda]] hat bei uns das Fliegen gelernt.''“ | + | Der Arbeitstag dauerte nicht selten bis vier Uhr früh. Wenn Kratzer Reden des amerikanischen Präsidenten mittippte, waren es Worte von Harry S. Truman. Eines Tages wollten die amerikanischen Besatzer den Redaktionsfunker nach Wien zum "Kurier" holen. Kratzer kündigte und machte bald alles wieder rückgängig. Der Wiener, der in Salzburg eine Familie gegründet hatte, blieb an der [[Salzach]] verwurzelt und kehrte zu den SN zurück. Im März 1952 kam ein Ruf der Flugsicherung in Salzburg-[[Maxglan]]. Kratzer wechselte zum Flugplatz und erlebte die Jahre von der unscheinbaren Baracke am Flugfeld bis zum Ausbau zum internationalen Flughafen mit. Er verfasste Flugpläne und arbeitete auch eng mit berühmten Privatpiloten zusammen. "''Mit [[Herbert von Karajan]] bin ich einmal sogar mitgeflogen. [[Heinz Rühmann]] war oft da und [[Niki Lauda]] hat bei uns das Fliegen gelernt.''" |
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| − | Im Jahr [[1979]] ging Kratzer in den Ruhestand. Für den Hunderter in einem Jahr hatte er zwei Wünsche: "''Dass ich den Tag erleben darf, und ich möchte auch im neuen Tower sein, der ja fertig sein wird.''“ Vom Salzburg Airport gab es natürlich schon grünes Licht für den Besuch. | + | Im Jahr [[1979]] ging Kratzer in den Ruhestand. Für den Hunderter in einem Jahr hatte er zwei Wünsche: "''Dass ich den Tag erleben darf, und ich möchte auch im neuen Tower sein, der ja fertig sein wird.''" Vom Salzburg Airport gab es natürlich schon grünes Licht für den Besuch. |
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| − | An die Übersiedlung in ein Seniorenheim hatte Kratzer noch nie gedacht. Eine Haushaltshilfe kam jeden Vormittag und zu Mittag fuhren ihn zwei Zivildiener in die [[Christian-Doppler-Klinik]]. "[[Essen auf Rädern]]“ lehnte er ab. "''Ich will unter Menschen sein. Für die CDK habe ich mir eine Karte besorgt, da wird mein Essen abgebucht und ich kann mir aussuchen, was ich will.''“ | + | An die Übersiedlung in ein Seniorenheim hatte Kratzer noch nie gedacht. Eine Haushaltshilfe kam jeden Vormittag und zu Mittag fuhren ihn zwei Zivildiener in die [[Christian-Doppler-Klinik]]. "[[Essen auf Rädern]]" lehnte er ab. "''Ich will unter Menschen sein. Für die CDK habe ich mir eine Karte besorgt, da wird mein Essen abgebucht und ich kann mir aussuchen, was ich will.''" |
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| − | Beim Blick auf ein Zeugnis aus den [[1930er]]-Jahren sagte Kratzer: "''Das Handwerk, die Salzburger Nachrichten, der Flughafen. Das waren meine Stationen. Ich bin zufrieden und ich freu' mich auf alles, was noch kommt.''“ Ein Gedicht aus der Kindheit fiel ihm ein, dessen letzte Zeile ihm eine Warnung blieb: "''Die Freuden, die man übertreibt, verwandeln sich bald in Schmerzen.''“ | + | Beim Blick auf ein Zeugnis aus den [[1930er]]-Jahren sagte Kratzer: "''Das Handwerk, die Salzburger Nachrichten, der Flughafen. Das waren meine Stationen. Ich bin zufrieden und ich freu' mich auf alles, was noch kommt.''" Ein Gedicht aus der Kindheit fiel ihm ein, dessen letzte Zeile ihm eine Warnung blieb: "''Die Freuden, die man übertreibt, verwandeln sich bald in Schmerzen.''" |
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