Lager Glasenbach

Das Lager Glasenbach Marcus W. Orr war ein Internierungslager der Amerikaner für Nazi-Verdächtige in der Stadt Salzburg.
Einleitung
Es war das größte Internierungslager für Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher auf österreichischem Gebiet, das von rund 20 000 Personen durchlaufen wurde. Ein Teil der ehemaligen Insassen des Lagers, die "Glasenbacher", gelten als Begründer des rechtsgerichteten Dritten Lagers in der österreichischen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg (Verband der Unabhängigen, später Freiheitliche Partei Österreichs).
Lage und Bezeichnung
Obwohl das Lager den Namen Glasenbach trug, hatte es mit dieser Ortschaft von Elsbethen im Grunde nichts zu tun, sieht man davon ab, dass sich dort die nächstgelegene Bahnstation und das nächstgelegene Postamt befanden. Das Internierungslager selbst dehnte sich nämlich auf der linken Salzachseite auf dem Gebiet der heutigen Alpensiedlung im heutigen Salzburger Stadtteil Salzburg Süd aus, etwa im Bereich zwischen der Hans-Webersdorfer-Straße, des heutigen Ginzkeyplatzes und der Karl-Emminger-Straße.
Der Name Marcus W. Orr geht auf den letzten im Zweiten Weltkrieg schwer verwundeten amerikanischen Soldaten dieses Namens zurück.Der am 19. März 1925 im US-amerikanischen Bundesstaat Arkansas auf die Welt gekommene Soldat der 42nd Rainbow Infantry Division ("Rainbow Division") wurde bei Kampfhandlungen in Süddeutschland schwer verwundet und blieb den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Er studierte nach dem Krieg und wurde Historiker. In dieser Funktion kam er mehrmals nach Europa, wurde Professor an der Memphis State University und starb am 1. November 1990. (Vgl. Dohle/Eigelsberger 2009.)
Geschichte
Bei dem 25,3 ha großen Gelände des Camps handelte es sich um ein Areal, das im Dezember 1940 vom Reichsfiskus für die Deutsche Wehrmacht angekauft wurde. Im Jahr 1941 begann man mit der Errichtung von Behelfsunterkünften und mehreren Kraftfahrzeug- sowie Pionierboothallen für das Gebirgsjäger-Ersatzbataillon 82. Die Arbeiten wurden aber aufgrund der Kriegsentwicklung sehr eingeschränkt durchgeführt. Nach Ende des Krieges war es vorübergehend ein Wehrmachtsentlassungslager. Am 18. August 1945 besuchte der ehemalige zuständige Wehrkreispfarrer[1] Peter Biebel, am Nachmittag das Lager. In seiner Zusammenfassung der Visite schreibt Biebel, dass sich in dem Lagen zwischen 16 000 und 17 000 "Soldaten, die aus Norwegen und Italien zurückgekehrt sind" befanden. "Darunter auch viele Frauen und Mädchen, die dem Heere als Helferinnen, Nachrichtenverm[ittlerinnen] und andere Dienste angeschlossen waren." Unter den Internierten befanden sich auch rund 500 Kriegsversehrte und Schwangere, sowie "zehn Geistliche und vier Theologen", davon vier Priester aus der Erzdiözese Salzburg.[2]
Weiters veranlasste die vorrückende sowjetische Rote Armee gegen Kriegsende viele Funktionäre des Nationalsozialismus, sich aus Ostösterreich nach Westen in den amerikanischen Sektor abzusetzen. Im amerikanischen Bereich wurden sie vom automatic arrest erfasst, einer Entnazifizierungsmaßnahme, die alle festsetzen sollte, die in bestimmten Positionen für das nationalsozialistische Regime tätig waren. Dazu errichteten die Amerikaner dann im Herbst 1945 das "Lager W. Marcus Orr" und sammelten dort Insassen von mehreren kleineren Lagern in Oberösterreich und dem SS-Lager in Hallein.
So wurden bis zu 12 000 dieser tatsächlichen oder unter dem Verdacht stehenden Sympathisanten mit dem NS-Regime im Camp Marcus W. Orr interniert. Darunter befanden sich sehr unterschiedliche Personen wie Chargen der SS, der Waffen-SS, Wehrmachtsgeneräle wie Kesselring und Rendulic, Bürgermeister, Ortsgruppenleiter, Gauhauptleute, Richter und Staatsanwälte, Industrielle, aber auch Kriegsverbrecher wie Walter Reder oder KZ-Kommandanten wie Franz Stangl und Anton Burger.
Die so gemischte Lagergemeinschaft von Tätern und tatsächlichen Unschuldigen nannte ihr Lager selbst "Konzentrationslager", wohl auch als Reaktion der Verleugnung der tatsächlich von manchen der Lagerinsassen angestifteten oder durchgeführten unrechten Handlungen während der NS-Zeit. Die Entnazifizierungsbemühungen im Lager beschränkten sich auf Vernehmungen und das Ausfüllen von Fragebögen. So wurden nur die Schwerbelasteten gefiltert, die dann den Volksgerichten übergeben oder zu den NS-Prozessen in Dachau überstellt wurden.
Am 15. Oktober 1946 besuchte General Donald Dwight Eisenhower das Lager.
Am 5. August 1947 übergab Zonenkommandant Generalmajor Harry J. Collins im Rahmen einer Feier das mit 1. August aufgelassene Internierungslager Marcus W. Orr an der Alpenstraße an die österreichischen Behörden.
Am 6. Jänner 1948 verließen die letzten Internierten das Lager: eine Gruppe von 21 Kriegsverbrechern wurde von den amerikanischen Behörden an das Landesgericht Salzburg überstellt. Damit wurde auch die Abteilung für Kriegsverbrecher, die im Lager noch unter amerikanischer Leitung stand, aufgelöst.
Auf dem Gelände des Lagers trug der SC Alpenstraße seine Heimspiele aus.
Aber erst am 9. September 1953 räumten die in Österreich stationierten amerikanischen Streitkräfte (USFA) endgültig das Lager Glasenbach, in dem sie seit Ende 1947 noch eine umzäunte Fläche für Lagerungszwecke gemietet hatten.
- Führung des Lagers
Die Bewachung und die Behandlung der Insassen wurden eher großzügig gehandhabt. Das Lager war zu Sicherungszwecken zwar von einem Stacheldrahtzaun umgeben, der aber trotz Bewachung Lebensmittel- und Wäschepakete von Angehörigen durchließ, und es kam auch zu gelegentlichen Fluchtversuchen. So konnte sich Anton Burger seiner Auslieferung an die Tschechoslowakei durch Flucht 1947 entziehen. Auch wurde den Lagerinsassen ein eigener Ordnerdienst und eine weitgehende Selbstverwaltung zugestanden, was zum raschen Wiederaufleben alter Hierarchien und zur Bildung von politischen Seilschaften führte.
Lagerkommandant war Colonel Wooten, der die Inhaftierten mit "meine Freunde" anzusprechen pflegte. Diese legere Behandlung wurde aber den amerikanischen Bewachern nicht gedankt. Denn bei einer Häftlingsüberstellung zu den Dachauer Prozessen am 19. März 1947 kam es zu einem Aufstand, der durch den Einsatz von Schusswaffen von der österreichischen Gendarmerie beendet werden konnte. Dennoch machten die Amerikaner weitere Zugeständnisse. So wurde die Haftzeit in Glasenbach auf Volksgerichtsstrafen angerechnet.
- Lagerinsassen
Unter den "Glasenbachern", wie die Lagerinsassen genannt wurden, befanden sich auch jene Personen, die später bei der Gründung der FPÖ eine entscheidende Rolle spielen sollten: die beiden späteren Parteichefs Anton Reinthaller und Friedrich Peter sowie Robert Haider, der Vater von Jörg Haider.
Zeitzeugen erinnerten sich
- Landesrat Walter Leitner im Dezember 1997:
"In den ersten Monaten mussten die Häftlinge bei elender Verpflegung und trostlosen hygienischen Verhältnissen auf den nackten, kalten Betonböden vegetieren. Erst 1946, als manche Lagerinsassen Pakete bekommen durften und deshalb ihre dünne Erbsensuppe einem Kameraden überlassen konnten oder den Paketinhalt teilten, wurde es etwas besser." Walter Leitner, später hoher Landespolitiker der FPÖ, war einer von Tausenden Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Camp Marcus W. Orr in der Josefiau interniert waren.
"Welchem Zweck diente das galgenhumorig "Diätpension Erbsenbach" genannte Lager? Die Amerikaner sahen in allen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern ab einer gewissen Führungsebene potentielle Verbrecher, die isoliert werden müßten", so Altlandesrat Leitner 50 Jahre danach. Diese Personen seien ebenso dem automatic arrest verfallen wie ehemalige Angehörige der Waffen-SS, der SD, der Gestapo oder höchste Offiziere der Wehrmacht.
In lebhafter Erinnerung blieb Leitner der letzte Tag im "Wastl" im Juli 1947: "Wir sägten die 16 großen Wachtürme einfach an und kippten sie unter begeisterten Zurufen unserer Ami-Bewacher mit einem Lkw um."
Literatur
- Dohle, Oskar; Eigelsberger, Christoph: "Camp Marcus W. Orr - Glasenbach als Internierungslager nach 1945", 2009
Quellen
- Buch "Camp Marcus W. Orr"
- www.sn.at, 22. April 2023: "Landtagswahl 2023. Salzburgs starke Spuren in der Bundespolitik"