Auswirkungen des Atomkraftwerkunglücks 1986 in Tschnernobyl auf Salzburg
Dieser Artikel informiert über die Auswirkungen des Atomkraftwerkunglücks 1986 in Tschnernobyl auf Salzburg.
Das Unglück
Am 26. April 1986 geriet um 01:23 Uhr im Reaktorblock vier des Atomkraftwerks in Tschnernobyl nahe der 1970 gegründeten ukrainischen Stadt Prypjat in der damaligen Sowjetrepublik ein Test außer Kontrolle. Von einem Brand war zunächst die Rede. Doch allmählich wurde klar: Es ist ein Super-GAU, der größte anzunehmende Unfall. Eine bis heute beispiellose Explosion mit anschließendem Großfeuer schleuderte damals radioaktive Teilchen in die Luft. 190 Tonnen insgesamt, wie russische Experten in Moskau zum 35. Jahrestag 2021 vorrechneten. Wolken mit der gefährlichen Strahlung breiteten sich bis nach Nord- und Westeuropa aus. Sie trafen neben der Nordukraine vor allem das benachbarte Belarus und den Westen Russlands. 160 000 Quadratkilometer gelten als verstrahlt - eine Fläche etwa zweimal so groß wie Österreich. Westliche Experten gehen von Zehntausenden Todesfällen aus.
Es begann die Evakuierung des Gebiets in einem Umkreis von zunächst zehn, dann 30 Kilometern. Die Räumung der damals von den Kommunisten als Symbol für Fortschritt konzipierten Vorzeigestadt Prypjat mit den 50 000 Einwohnern lief noch vergleichsweise einfach ab. Hunderte Busse und Lastwagen transportierten Menschen samt Hab und Gut ab. Die Funktionäre richteten sich nach einen Zivilschutzplan für den Fall des Atomkriegs. Die fast durchweg jungen Familien wurden zunächst nach Westen in einen Nachbarkreis gebracht. Ein Teil zog gleich zu Verwandten. Seither ist Prypjat eine Geisterstadt.
Heute umhüllt ein mehr als zwei Milliarden Euro und auf 100 Jahre gebauter Sarkophag den schadhaften Reaktor. Russische Experten gehen in aktuellen Studien davon aus, dass die Strahlenbelastung für die Bevölkerung 90 Mal höher war als in Japan nach dem Abwurf der US-Atombombe in Hiroshima 1945.
Die Auswirkungen auf Salzburg
Westliche Medien erfuhren erst mit Verspätung von diesem Unglück. So berichteten die Salzburger Nachrichten erstmals am 30. April auf ihrer Titelseite von dem Unglück: "Kreml spricht von 'Katastrophe'". Am 2. Mai war in den SN bereits auf mehreren Seiten über das Unglück zu lesen. Der österreichische Bundesminister für Gesundheit und Umwelt, Franz Kreutzer, beruhigte in einem Artikel die Bevölkerung. Er sähe keinen Grund zur Panik, die Strahlenbelastung sinkt bereits wieder. Der aus Salzburg stammende Unterrichtsminister Herbert Moritz hingegen ordnete eine Überprüfung der Zivilschutzvorbereitungen in allen Schulen an.
Dann aber folgten doch auch Maßnahmen. Am 2. Mai mittags gab der Salzburger Landessanitätsrat die Empfehlung heraus, alle Freibäder nicht wie vorgesehen, an diesem Wochenende zu öffnen. Prof. Friedrich Steinhäusler empfahl, Kinder nicht im Freien spielen zu lassen und ihnen nach jedem Ausgang gründlich die Hände zu waschen. Schuhe sollten im Vorhaus mit einem feuchten Tuch abgewischt werden, das man anschließend wegwirft und dort abstellt. Der Präsident des Salzburger Landesschulrates Landtagsabgeordneter Gerhard Schäffer untersagte bis auf weiteres jede schulsportliche Tätigkeit im Freien.
Tags darauf, am Samstag, den 3. Mai, untersagte die Salzburger Landesregierung das Füttern von Milchkühen mit Frischfutter und somit auch das Weiden im Freien unter Androhung von Verwaltungsstrafen bis 20.000,-- Schilling. Doch schon am Sonntag wird die Verordnung als "entbehrlich" wieder aufgehoben. Tatsächlich wäre sie nicht durchführbar gewesen, weil die Bauern kein Trockenfutter mehr vorrätig hatten. Weiters empfahl die Landesregierung bis vorerst 11. Mai
- Verzicht auf frisches Blattgemüse
- Kein Genuss von Schmelz- und Regenwasser
- Keine Skitouren
Am 6. Mai berichteten die SN, dass sich Teile der Bevölkerung sehr unvernünftig verhielte und die Warnungen ignorierten. Ein Bild des Fotografen Robert Ratzer zeigt Sonnenbadende in Liegenstühlen auf der Zistel auf dem Gaisberg. Die Hinweistafel am Lieferinger Badesee "Geschlossen" wurde von vielen ignoriert. Stammgäste des Volksgartenbades hätten empört beim Magistrat angerufen und gefragt, wann sie denn endlich das Bad benutzen dürften.
Während bis zum Montag, 5. Mai, die Strahlenbelastung in der Luft abnahm, und in Tallagen am Boden nahezu stagnierte, wurde im Bergland eine hohe Strahlenbelastung registriert. Eine der besonders wichtigen Messstationen war das Observatorium Sonnblick aufgrund seiner exponierten Lage.
Die Märkte in der Stadt Salzburg wurden nicht verboten, da die Standler auch noch anderen unbedenkliche Waren anboten. Es wurden weitere Empfehlungen an die Bevölkerung ausgegeben:
- Alles, was Staub macht, soll unterlassen werden.
- Keine Haustiere ins Freie lassen.
- Nicht den Rasen mähen.
- Schuhe vor der Haustüre ausziehen.
In der Stadt Salzburg waren jetzt 13 Waschfahrzeuge täglich unterwegs, den Staub von den Straßen zu waschen. Der Salzburger Zivilschutzverband riet nur Mineralwasser und Sardinen zu konsumieren, Geigerzähler waren ausverkauft.
Am Donnerstag, Feiertag, 8. Mai, demonstrierten 3 000 Menschen auf dem Mirabellplatz gegen den "Atomwahn". Hauptredner war der Zukunftsforscher Robert Jungk. Konkret forderten die Demonstranten den Ausbaustopp des bayrischen Atomaufbereitungslagers Wackersdorf.
Auf dem Alten Markt in der Salzburger Altstadt wurde der längste Protestbrief der Welt zur Unterschrift aufgelegt. Der Brief ging an Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, in dem er zur Einstellung der Ausbauarbeiten in Wackersdorf aufgefordert wurde.
Der Mai 1986 forderte mit Tschernobyl die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Salzburg in besonderem Ausmaß, Strahlenschutzausbildung und Geräte bewährten sich.
Quellen
- www.sn.at 24. April 202: 35 Jahre nach Tschernobyl: Zeitzeugen berichten von der Atomkatastrophe
- Archiv der Salzburger Nachrichten, verschiedene Ausgaben ab dem 30. April 1986